Die Sonne geht auf

Mit einer Tasse Kaffee habe ich es mir am Morgen im Wohnzimmer gemütlich gemacht und sortiere dabei die Tagespost. Da ist er, der Brief der Klinik. Mit zittrigen Händen mache ich den Umschlag auf und überfliege hastig das Pamphlet.

“Sehr geehrter Herr Löwenstein, wir freuen uns … die Auswertung Ihres Spermiogramms … Qualität hervorragend…”.

Ach was? Mit stolzgeschwellter Brust und einem breiten Grinsen stehe ich jetzt vorm Spiegel und zwinker mir selber zu. Mir gefällt, was ich sehe und zufrieden stelle ich fest, dass jeder einzelne meiner Jungs ein unbezwingbarer Kampfschwimmer ist!

So muss ein Spermiogramm aussehen, dann klappt es auch mit der Nachbarin.

Es ist leider etwas ernüchternd, dass ich meine Freude lediglich mit einem kastrierten Rüden teilen kann, aber weil er schon mal da ist, lese ich Horton das Schreiben mit bewusst männlicher Stimme vor.

Mein Hund ist so beeindruckt und euphorisiert, dass er das Schriftstück direkt fressen möchte. Zu viel der Verehrung!

Gehet hin und vermehret euch

Es ist Zeit für eine Männerrunde. Lass uns da rausgehen und den Weibchen zeigen, was sie alles nicht bekommen können. Wild, frei und ungezähmt. Albern vor Glück schlendere ich mit Horton durch die Wohnsiedlung. Mein Gang ist anders als sonst. Irgendwie komme ich mir vor wie ein Türsteher auf dem Kiez. Einen Pitbull kann ich nicht bieten, aber als Pitchen geht mein Mischling bestimmt durch.
Mein treuer Weggefährte zieht mich in Richtung einer Kindergartengruppe und steuert direkt auf die blutjunge und bildhübsche Erzieherin zu.
“Na, die gefällt dir, was?”, raune ich feist grinsend zu meinem haarigen Flügelmann, “Mir auch!”
Schneewittchen reagiert auf meine Charmeoffensive mit einer gespielten, verwirrten Zurückhaltung. Klar, wenn morgens plötzlich Chuck Norris vor dir steht, dann kann man schon mal unruhig werden. Besonders bei so vielen quengelnden Kindern.
In einem abendlichen Telefonat schildere ich später übrigens meinem Neffen voller Stolz den obigen Vorfall und erkläre ihm, dass ich schon gekonnt hätte – wenn ich nur gewollt hätte. Lachend bezeichnet er mich als “sabbernden Greis” und erläutert seine Theorie des Tatherganges.
“Weißt Du, was das arme Mädchen wirklich gedacht hat?”, fragt er immer noch lachend, “Selbst wenn man es gut würzt und ordentlich durchbrät, schmeckt Gammelfleisch einfach nicht mehr!”

Ich bemühe mich um Höflichkeit, bedanke mich für seine Weisheiten und notiere mir das Stichwort “Enterbung” für meinen nächsten Notarbesuch. Undankbarer Patenbengel.

Ich überlege kurz, ob ich Schneewittchen ganz unverfänglich von meinem Spermiogramm erzähle, um das Eis zu brechen, verwerfe aber diese Idee gleich wieder, weil ich nicht als Angeber dastehen will. Stattdessen plaudere ich über einige ausgewählte Belanglosigkeiten, wobei ich sie anschaue wie ein Löwe, der eine appetitliche Antilope fixiert, die er zuvor sorgfältig ausgewählt und von der Herde getrennt hat.

Ich hab da mal ne Frage

Ein metallgewordener Albtraum der Spießigkeit fährt unvermittelt in meinen Gedankengang. Ein dunkles Oberklassefahrzeug aus Stuttgart rollt bis auf meine Höhe und hält an. Diesen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit nutzt die Antilope zur Flucht. Am Lenkrad sitzt ein kleiner älterer Mann, der mich misstrauisch mustert.
“Guten Morgen!”, sagt der Bonsai­-Germane in strengem Ton, “Ich habe da mal eine Frage an Sie.”

“Gas ist rechts!”, antworte ich belustigt.

Mein Feuerwerk der Humoristik scheint bei dem Griesgram nicht wirklich gezündet zu haben, oder er lacht nach innen. “Wenn Ihr Hund hier auf dem Sandstreifen vor meinem Haus einen Haufen macht, dann dürfen Sie den auch gerne wegmachen!”, bringt der Großvater anklagend hervor.

Ich sehe mich um und stelle mit Entsetzen fest, dass sein Grundstück wohl tatsächlich als öffentliche Toilette missbraucht wird. Glücklicherweise habe ich immer einen ausreichenden Vorrat an Plastiktüten bei mir. Die werden von der Gemeinde kostenlos ausgegeben und sind in diesem neutralen Dunkelbraun – wie damals die Tüten im Beate ­Uhse­-Shop. Da greift man dann doch gerne und reichlich zu.

Zu Demonstrationszwecken zaubere ich jetzt eine dieser Tüten aus meiner Jackentasche hervor. Es grenzt wirklich an Zauberei, dann die sagenumwobenen Tüten befinden sich eigentlich immer in der rechten Jackentasche – allerdings handelt es sich dabei um eine andere Jacke. Die hängt zu Hause an der Garderobe. Ich bemerke ein leichtes Pochen in der Halsschlagader und mir wird plötzlich ganz warm. So tütenlos empfinde ich ein leichtes Unbehagen.

Jetzt wird’s schmutzig

Unbeeindruckt von der angespannten Gesamtsituation dreht sich mein Hund auf dem besagten Sandstreifen mehrfach im Kreis. Wir alle wissen, was das jetzt bedeutet.

Ich muss kurz kichern, weil Horton nicht wirklich intellektuell aussieht, wenn er sein Geschäft verrichtet, werde mir aber sehr schnell wieder über die Ernsthaftigkeit der Lage bewusst und schicke ein Stoßgebet zum Himmel: Bitte keinen Durchfall!

“Und jetzt?”, fragt der Grundstücksbesitzer, nachdem mein Hund durch übertriebenes Kratzen signalisiert hat, dass er fertig ist, “Was machen Sie jetzt?”

Jetzt hat er mich gepackt. Und zwar genau dort, wo mein hervorragendes Spermiogramm wohnt. Sein Blick verrät mir, dass er nicht lockerlassen wird.

Wo war denn bloß dieses verdammte Loch, in dem ich mich verstecken kann? Mit dem Mut der Verzweiflung krame ich in meinen Taschen und finde ein zerknülltes Bonbonpapier: Nimm Zwei. Hätte ich es mal getan. Jetzt bleibt mir nur dieses eine Papierchen, um zu entkommen.
In einem Balance­-Akt zwischen Papierchen, Daumen und Zeigefinger gelingt es mir, die Hinterlassenschaften meines Hundes unfallfrei zu entfernen. Was Horton auch immer gegessen haben mag, es waren sicher keine Veilchen.

Hundekot

Bild & Quelle: Nemo / Pixabay, creative commons public domain

Da in unserer Wohnsiedlung jeder jeden kennt, wissen ja auch schon alle, dass ich irgendwie anders ticke und so wundern sich auch nur wenige über meine bizarre Form des Eierlaufs. Die wartende Dame von der Versicherung scheint allerdings etwas irritiert, als ich abgehetzt mit meinem Hund und seinen Exkrementen fast pünktlich zu unserem Termin erscheine. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund fällt die Begrüßung seltsam distanziert aus. Sie mag wohl keine Hunde.

Komm runter Junge

Beim Abendessen lese ich meiner Frau mehrfach den Bericht der Klinik vor und wiederhole dabei besonders wichtige Passagen mit verschiedenen Betonungen. Ich schildere ihr lebhaft und in schillernden Farben, wie ich den ganzen Tag in meinem Gen­pool geplanscht habe und mich unzähliger paarungswilliger Weibchen erwehren musste. Den Sandstreifen lasse ich bei meinem Referat einfach mal aus.

Meine Gattin weiß, wie wichtig es ist, das männliche Selbstwertgefühl zu stärken, und sie macht das auch umgehend auf ihre liebvolle Art. Im Vorbeigehen tätschelt sie meinen Kopf und säuselt lachend: “Du bist ein Feiner!”

Der Einzige, der mich wirklich versteht, gähnt nur gelangweilt und trottet meiner Frau hinterher, weil es Futter gibt.

Und ich muss das dann wieder wegmachen!

Ein Gastbeitrag von Axel Löwenstein

Ausserdem von Axel Löwenstein bei Issn‘ Rüde! erschienen:

Beitragsbild & Quelle: geralt / Pixabay, creative commons public domain

geralt / Pixabay

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