Vom artgerechten Umgang in der tiergestützten Therapie

Der Einsatz von Hunden kann die therapeutische Arbeit erleichtern, im Schulunterricht zu mehr Ruhe und Konzentration beitragen und Senioren mehr Lebensfreude, Mobilität und geistige Beweglichkeit schenken. Das ist bekannt, nicht nur unter Tierfreunden. Immer mehr Hunde werden für tiergestützte Therapie eingesetzt. Doch artgerechter Umgang ist dabei oft nachrangig. Wie müssen Ausbildung und Arbeit gestaltet sein, damit sie auch den Bedürfnissen des Tieres gerecht werden?

Das große Risiko aus Perspektive des Tierschutzes ist: Wenn der Hund als reines Instrument der therapeutischen Arbeit dient, spielt artgerechter Umgang keine Rolle. Also wird der Hund überfordert oder gestresst, werden seine Äußerungen missachtet und seine Gesundheit gefährdet – dabei muss nicht mal böse Absicht im Spiel sein.

Das beginnt bei der Ausbildung. Ob der Tierschutz geachtet wird, stellt der aufmerksame Interessent bald fest. Ein zuverlässiges Signal ist, ob man zu Beginn der Ausbildung befragt wird: Warum will ich die Ausbildung machen und wie stelle ich mir die künftige Arbeit mit meinem Hund vor, wie schätze ich meinen Hund ein und vor allem: warum glaube ich, dass diese Arbeit das Richtige für mich und meinen Hund ist. All diese Fragen sind berechtigt und wichtig – denn nicht Jedem tut diese Arbeit gut.

Frage eins: Bin ich geeignet?

Der Interessent sollte sich darüber klar sein, ob er anderen mit seiner Arbeit helfen kann, ohne die Bedürfnisse seines Hundes aus den Augen zu verlieren. Nicht artgerecht ist eine Ausbildung, wenn sie lehrt, dass jeder Hund alles erdulden muss und in jedem Bereich der tiergestützten Therapie eingesetzt werden kann. Denn jedes Team aus Hund und Mensch ist einzigartig. Und so sollte im Laufe der Ausbildung von Mensch und Hund herausgearbeitet werden, wo die Stärken liegen.

Frage zwei: Ist mein Hund geeignet?

Die meisten Hunde sind geeignet.
Selbstverständlich muss man Beißunfälle ausschließen können, den Hund jederzeit abrufen können und unter Kontrolle haben. Das ist die erste Bedingung.
Zweitens spielt die Persönlichkeit des Hundes eine große Rolle bei der Frage, in welcher therapeutischen Arbeit er positiv wirken kann. Erfahrene Trainer erkennen, welcher Typ Hund vor ihnen steht und wie stark er durch seinen Halter beeinflusst ist. Hunde spüren genau, wie es dem Menschen geht und welche Gefühle er hat. Diese Fähigkeit macht ihn ja so wertvoll für die Arbeit mit anderen Menschen.
Auch Hunde haben Vorlieben: Der eine fühlt sich zu Kindern hingezogen, der andere zu älteren Menschen. Und das ist gut so. Das sollte man berücksichtigen, wenn man allen Beteiligten gerecht werden will und das positive Potential der tiergestützten Therapie voll ausschöpfen möchte.

Frage drei: Welche Ausbildung ist für mich geeignet?

Die dringende Empfehlung für alle Interesse an tiergestützter Therapie: Die Ausbildung sollte sorgfältig gewählt werden.
Eine gute Ausbildung für Mensch und Hund setzt qualifizierte Dozenten voraus, mindestens aus den Bereichen Psychologie, Medizin und Verhaltensbiologie des Hundes. Ein Blick auf den Fach- und Erfahrungshintergrund des Ausbilder-Teams zeigt: Habe ich es mit kompetenten und einschlägig erfahrenen Lehrern aus den erforderlichen Disziplinen zu tun?

Checkliste – So erkenne ich eine geeignete Ausbildung für tiergestützte Therapie

  • Es unterrichten mehrere qualifizierte Dozenten, mit Kenntnissen in Psychologie, Medizin und Verhaltensbiologie des Hundes
  • Die Ausbildung umfasst mindestens auch: Kynologie, Verhaltensbiologie des Hundes, Stress bei Hunden, Hund-Mensch-Kommunikation
  • Der Umgang mit Menschen in den relevanten Lebenssituationen wird thematisiert, z.B. Lernschwierigkeiten und Konzentration, psychische Störungen und Einschränkungen, Krankheit und Traumatisierung, Alterserkrankungen und Demenz
  • Es wird auf artgerechten Umgang und Tierschutz geachtet
  • Die Helfer-Ethik der Ausbildungsteilnehmer wird thematisiert, z.B. Abgrenzung und Burnout-Prävention, Angebot einer Supervision
  • Eine Vorbereitung auf die spätere praktische Arbeit findet in Theorie und Praxis statt, z.B. gibt es ausreichende Möglichkeiten zu begleiteten Praktika
  • Zum Abschluss legen die Teilnehmer vor einem externen Prüfer einen Test in Theorie und Praxis ab
  • Die Teams stellen sich auch nach Ausbildungsende regelmäßig wieder vor und belegen ihre Einsatzfähigkeit (mindestens alle eineinhalb Jahre)
  • Vom Sinn artgerechter Arbeit

    Spätestens im Praxis-Einsatz zeigt sich, dass artgerechte Ausbildung auch aus therapeutischer Sicht eine Erfolgs-Voraussetzung ist. Manche Ausbildungen vertreten den Standpunkt, dass die Hunde im therapeutischen Einsatz alles erdulden müssen und trimmen sie auf absoluten Gehorsam. Das ist kontraproduktiv.
    Im Umgang mit dem Klienten ist nicht Kadavergehorsam gewünscht, sondern intelligenter Ungehorsam: Der Hund muss in der Lage sein, selbständig Kontakt zum Klienten aufzunehmen. Er soll auch mal betteln oder schmeicheln, um Spielen, Futter oder Streicheleinheiten werben. Nur wenn er das kann, wird eine Interaktion zwischen Hund und Klienten entstehen – und das ist die Voraussetzung für das therapeutisch wirkende Erfolgserlebnis.
    Ein Hund, der absolut auf Gehorsam getrimmt ist, wird sich nur am Halter orientieren. Er wird sichergehen wollen, dass er alles recht macht. Der Hund wird unselbständig und die Kontaktaufnahme zu Fremden fällt ihm schwer. Eine freie Interaktion mit dem Klienten kann dann kaum zustande kommen.

    Der Alltag des Therapiehunde-Teams

    Kein Hund ist unbegrenzt einsetzbar. Damit er nicht übermäßig belastet wird, sollte man seinen Hund genau kennen und sehen, wann er Pausen braucht, welche Situationen ihm Stress bereiten und wann man ihn aus der Arbeit nehmen sollte. Idealerweise hat der Hundehalter gelernt, die Signale rechtzeitig wahrzunehmen, damit er den Hund und den Klienten nicht überfordert.
    Leider sieht der Alltag häufig anders aus: Viele Hunde werden an ihre Belastungsgrenze getrieben, da ihre Halter unzureichend oder gar nicht ausgebildet sind. Sie fehlinterpretieren Stressverhalten und nehmen ihre Hunde weiter in Altenheime und Schulen mit, obwohl sie dazu nicht mehr in der Lage sind – oder es möglicherweise nie waren.
    Kein lukrativer Nebenverdienst
    Als lukrativer Nebenverdienst ist die tiergestützte Arbeit mit Hund daher nicht wirklich geeignet. Wer mit seinem Hund sein Einkommen aufbessern will, sei gewarnt: Ein Hund kann nicht jeden Tag und nicht über mehrere Stunden eingesetzt werden.

    Das Wunjo-Projekt

    Seit 2009 gibt es im oberbayerischen Bad Tölz ein Ausbildungszentrum für tiergestützte Therapie und seit 2013 auch in München Grünwald.
    Die zehnmonatige Kompakt-Ausbildung vermittelt alle Kenntnisse und Fertigkeiten zur Arbeit in der tiergestützten Therapie und legt besonderen Wert auf artgerechten Umgang.

    Der praktische Teil der Ausbildung findet in verschiedenen sozialen Einrichtungen statt. Eng zusammengearbeitet wird seit Jahren mit dem Pater Rupert Mayer-Heim, welches als eine der ersten Senioreneinrichtungen im deutschsprachigen Raum über ein angeschlossenes Ausbildungszentrum für Tiergestützte Therapie verfügt. Das zehnköpfige Ausbilderteam unter Leitung von Stephanie Lang von Langen bereitet derzeit auch eine Ausbildung in Blockseminaren vor.

    Vom Wunjo-Projekt ausgebildete Teams arbeiten derzeit in Schulen, Seniorenwohnheimen, sozialtherapeutischen Wohnheimen, einem Mehrgenerationen-Haus, einer Rehaklinik sowie mehreren psychotherapeutischen Praxen in Oberbayern.
    Die Ausbildung-Inhalte des Wunjo-Projekts umfassen: Möglichkeiten & Grenzen tiergestützter Therapie, Einführung in die Kynologie, Sozialverhalten & Kommunikation des Hundes, Lernen & Stress, Körpersprache, Hygienebestimmungen und gesetzliche Grundlagen, Grundkenntnisse der Tierheilkunde, Planung & Durchführung von Einsätzen – z.B. als ‚Schulhundeteam‘, Helfer-Ethik, Einführung in die Psychologie, psychische Erkrankungen, Kontaktaufnahme, Umgang mit Aggression, Praxis-Einsätze in karitativen oder sozialen Einrichtungen, Gruppentraining, individuelles Einzeltraining, Erste-Hilfe-Schulung Hund, individuelles Coaching und regelmäßige Supervision.
    Mehr Informationen unter: www.das-wunjo-projekt.de

    Natürlich geht ein Labradore in der Regel gern in die Schulklasse und man wird ihm ansehen, dass er all die Kinder liebt, dass er Spaß mit ihnen hat: Der Kontakt zu den vielen Kindern ist auch für dieses Tier anstrengend und es muss viele Eindrücke verarbeiten. Auch ein Hund, der viel Kontakt mit fremden Menschen gewöhnt ist, kann nicht unbegrenzt eingesetzt werden – auch wenn er stets freundlich ist. Hunde nehmen Stimmungen wahr, auch bei Fremden. Das kann sie belasten. Sie müssen Gelegenheit bekommen, das Erlebte zu verarbeiten. Hunde brauchen Ausgleich in Form von Spielen, Laufen oder Ruhe. Dabei werden die angesammelten Stresshormone abgebaut.
    Die Folgen von Stress – auch beim Therapiehund
    Wenn der Hund zu lange zu viele Stresshormone im Körper behält, beeinträchtigt das sein Verhalten – zum Beispiel gegenüber anderen Hunden oder Menschen, auch im Alltag. Sie werden schreckhaft, nervös, unsicher, verlieren ihr Lernvermögen. Hier ist der Hundehalter gefragt, für Ausgleich und Ruhe zu sorgen.
    Dauerhafte Stressbelastung hat schwerwiegende Folgen, zum Beispiel Angst-Beißen, übermäßiges Bellen oder Ruhelosigkeit.

    Die positiven Effekte der Arbeit

    Mit einer gut gemachten Ausbildung kann diese Arbeit für Hund und Mensch eine wunderbare Erfahrung sein: Viele Teilnehmer berichten, dass sie ihre Hund besser kennen gelernt haben durch die regelmäßige Beschäftigung miteinander und dass ihr Hund interessierter ist und folgsamer, dass sie zu einem echten Team zusammengewachsen sind:

  • Der Hund bekommt eine sinnvolle Beschäftigung, die ihn auslastet und ihm Spaß macht. Das Selbstbewusstsein nicht nur des Hundes wächst.
  • Die Zusammenarbeit stärkt die Beziehung von Hund und Mensch. Man erlebt, wie die Gefühle und das Verhalten des Menschen den Hund beeinflussen, wie der Hund als Resonanzgeber wirkt für Stimmungen.
  • Die Arbeit fordert und fördert Charakter und Persönlichkeit von Hund und Mensch. Ein Beispiel: Um anderen Menschen helfen zu können, muss man zunächst lesen können, was der Hund spürt. Man übt Feedback und Empathie.
  • Der Mensch lernt einen verantwortungsvollen Umgang mit seinem Tier, ist Vorbild auch in der Öffentlichkeit, bekommt positive Rückmeldung.
  • Literaturtipps

  • Prof. Dr. Udo Gansloßer und Petra Krivy: Verhaltensbiologie für Hundehalter – Das Praxisbuch, Kosmos Verlag (August 2011)
  • Monika A. Vernooij und Silke Schneider: Handbuch der Tiergestützten Intervention – Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder, Verlag Quelle und Meyer (Februar 2010)
  • Dr. Carola Otterstedt: Mensch und Tier im Dialog – Kommunikation und artgerechter Umgang mit Haus- und Nutztieren. Methoden der tiergestützten Arbeit und Therapie, Kosmos Verlag (Oktober 2007)
  • Ein Gastbeitrag von Stephanie Lang von Langen
    Mehr Informationen unter: www.langvonlangen.com, www.das-wunjo-projekt.de

    Bild & Quelle: Stephanie Lang von Langen