In der Vergangenheit wurden Hunde bedenkenlos kupiert, Rute und Ohren aus optischen Gründen beschnitten. Das ist heute verboten. Gleichzeitig werden aber immer bedenkenloser und immer früher Hoden oder Eierstöcke entfernt.
Ist denn ein psychisches Zurechtstutzen unserer Hunde tatsächlich weniger bedenklich als ein optisches?

Geht es noch mit rechten Dingen zu, wenn ein Großteil unserer Hunde ohne jedwede Indikation, einfach von vorne herein kastriert werden? Es gibt heute schon Hundehalter, sogar -trainer, die mit geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen gar nicht mehr umgehen können. Da ist ein Knurren schon eine Verhaltensstörung oder auch das deutliche Zurechtweisen eines jungen Hundes durch eine ältere Hündin, wo doch der Kleine vermeintlich unter „Welpenschutz“ steht.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es gibt gute Gründe für eine Kastration.

Wie bei jedem operativen Eingriff gilt: Wenn ein guter, vielleicht sogar zwingender Grund vorliegt, ist dagegen nichts einzuwenden. Aber eben: nur dann!

Es fällt schwer, einen solchen guten Grund prophylaktisch, also vorbeugend zu erkennen!

Ich möchte hier einmal die häufigsten Gründe für Kastrationen beleuchten:

 

Unterbinden der Fruchtbarkeit

Ein kastrierter Hund kann sich nicht fortpflanzen, klar. Aber es ist ja nicht so, dass sich nichtkastrierte Tiere automatisch vermehren würden. In der Türkei z.B. leben viele Hunde halbwild und frei. Sie werden mit staatlicher Unterstützung eingefangen, kastriert, gekennzeichnet und wieder ausgesetzt. Ein vorbildliches Programm! Unsere Hunde können von dieser großen Freiheit nur träumen. Sie leben beständig unter Aufsicht. Wie also sollten sie sich unkontrolliert vermehren? Ist denn der Sachverstand des heutigen Hundehalters so gering, dass er nicht mehr weiß, wann seine Hündin heiß ist oder dass er es nicht merkt, wenn seinem Rüden ein attraktiver Geruch um die Nase weht?

Wenn ein Hundehalter zu bequem ist, um auf seinen Hund aufzupassen – ist das ein ausreichender Grund für einen weitreichenden medizinischen Eingriff?

Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass gerade Tierschutzvereinigungen oft auf einer Kastration der durch sie abgegebenen Hunde bestehen. Tierschutz besteht nicht im Zurechtschneiden von Tieren!

 

Verhaltensprobleme

Die allermeisten „Verhaltensprobleme“ sind gar keine, sondern lediglich Erziehungsprobleme unerfahrener Halter.

So schwer es oft ist, einen guten Hundetrainer zu finden – es ist doch meist die bessere Lösung.

Die wenigsten Verhaltensprobleme hängen direkt von den Geschlechtshormonen ab – und nur diese lassen sich durch eine Kastration überhaupt beeinflussen. Genannt sei z.B. die Aggression von Hunden gegenüber dem eigenen Geschlecht. Bei Rüden kann eine Kastration dieses spezifische Verhalten verringern – muss aber nicht, denn es hängt nicht am Testosteron allein. Bei Hündinnen wird sich dieses Verhalten eher verstärken, da die wenigen männlichen Geschlechtshormone, die auch die Hündin hat, ohne die Östrogene aus den Eierstöcken Oberhand gewinnen.

Ein anders Beispiel ist die Hypersexualität von Rüden: Aufreiten, „Begatten“ von Gegenständen, menschlichen Beinen… Dieses Verhalten sollte sich durch eine Kastration bessern, der Erfolg ist jedoch nicht mit Sicherheit vorauszusagen.

Noch komplizierter wird es bei der Aggression gegen Menschen. Die Gründe sind so verschieden, dass eine einzige Standardlösung nicht funktionieren kann.

 

  • Ist die Beziehung zwischen Halter und Hund nicht geklärt?
  • Gibt es nicht eingestandene Unstimmigkeiten in der zweibeinigen Familie, zeigt sich der Hund evtl. nur gegen ein bestimmtes Familienmitglied oder nur in bestimmten Situationen aggressiv?
  • Hat der Hund lediglich einen ausgeprägten Schutzinstinkt?

 

In diesen Fällen würde die Kastration, je nach Randbedingungen, vermutlich zu keiner Änderung führen. Oder ist der Hund im Grunde unsicher und ängstlich? In diesem Fall würde eine Kastration die Probleme vermutlich sogar verstärken.

 

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Solche süßen Welpen würde euer Hund nie bekommen, wenn er kastriert wird…
Foto: Dr Sibylle Ott
Quelle: www.mh-zwergpinscher.de / via Dr Sibylle Ott

 

Medizinische Gründe

Häufig wird das Argument genannt, die Kastration von Hündinnen verhindere das Auftreten von Brustkrebs (Mamakarzinom). Tatsächlich erkranken frühkastrierte Hündinnen (vor der ersten Läufigkeit) kaum einmal an Mamakarzinomen. Andererseits: gerade gegen die Frühkastration gibt es schwerwiegende Gründe. Zudem ist das Risiko für Hündinnen, überhaupt an einem Mamatumor (gut- oder bösartig) zu erkranken, nicht besonders hoch. Je nach Studie schwanken die Zahlen zwischen 0,2 bis 1,86% (nach Niepel, 2007). Ist es gerechtfertigt, deswegen generell zu kastrieren? Wäre es nicht besser, Risikofaktoren wie hormonelle Läufigkeitsunterdrückung, zu viel Eiweiß in der Nahrung und Übergewicht (Schlankhalten hilft übrigens auch gegen andere Tumorerkrankungen!) zu vermeiden? Auch ist das Risiko von Gesäugetumoren abzuwägen gegen das Risiko solcher Tumore, die nach einer Kastration häufiger sind: Perianaltumore der Hündin (bei Rüden ist es umgekehrt), Milztumore, Osteosarkome (im Knochen) und Herztumore (nach Strodbeck und Gansloßer).

 

Pro und contra Kastration

Es gibt gute Gründe für eine Kastration, z.B.

 

  • hormonabhängige Diabetesformen,
  • Hündinnen, die immer wieder sehr darunter leiden, nach einer Scheinträchtigkeit keine Welpen zu bekommen,
  • bauchständige Hoden (Kryptorchismus) u.a.

 

Die gemeinsame Haltung von intakten Rüden und Hündinnen in einem Haushalt kann sich unter Umständen als sehr schwierig gestalten, so dass es vorzuziehen sein kann, einen Teil der „Meute“ zu kastrieren.
Andererseits werden viele Hündinnen großer Rassen nach einer Kastration inkontinent. Rüden werden oft psychisch labiler und können schlechter mit Stress umgehen. Der Hormonhaushalt ist ein vernetztes Gebilde, es ist nicht möglich, nur etwas wegzunehmen, ohne Verschiebungen an anderer Stelle zu verursachen!

Eine Kastration ist ein schwerwiegender und unumkehrbarer Eingriff in den Körper und in die Psyche eines Hundes – dafür müssen handfeste Gründe vorliegen.

Ein „vorbeugender Grund“ ist ein Widerspruch in sich.

 

Ein paar Worte zur Frühkastration

Mit der Pubertät schließt die Kindheit ab, das Erwachsenenalter beginnt. Diesen ganz grundlegenden Vorgang im Leben eines Tieres durch eine Frühkastration (bei der Hündin: vor der ersten Läufigkeit) zu verhindern ist ein sehr schwerwiegender Eingriff, nicht nur im körperlichen Bereich sondern noch viel mehr in die psychische Entwicklung. Die Bedenkenlosigkeit, mit der inzwischen auch bei uns Hunde früh kastriert werden, wurde aus den USA übernommen.

Unter Frühkastration versteht man dort die Kastration von Welpen im Alter von 7 Wochen gegenüber einer „normalen“ Kastration mit 7 Monaten (Olson, 2001)!

Die allermeisten Hunde werden vor Ablauf des ersten Lebensjahres kastriert (Torres de la Riva, 2013). Möglich ist das. Die Operation selbst wird auch von den Welpen durchaus gut vertragen. Die kastrierten Hunde werden nicht unbedingt krank, auch wenn sich ein vermehrtes Längenwachstum der Röhrenknochen und häufigere Gelenk– oder Kreislaufproblemen im Alter einstellen.
Schwerwiegender aber sind die psychischen Folgen: Die Hunde werden nicht wirklich erwachsen, ihr Verhalten reift nicht aus, oft sind sie emotional labil und können schlechter mit Stress umgehen als intakte Tiere. Wie lässt sich das mit Tierschutzgedanken vereinbaren?

 

Was sagt das Tierschutzgesetz?

Zum Schluss noch ein Blick in das Tierschutzgesetz:

Nach §6 ist das Amputieren von Körperteilen verboten. Dies trifft genauso auf die Ohren wie auf die Hoden zu. Erlaubt ist die Amputation nur in Ausnahmefällen, z.B. nach tierärztlicher Indikation.

Allerdings wird das Amputationsverbot im TierSchG durch 36(1)5 ziemlich aufgeweicht: eine Kastration ist erlaubt „zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder…zur weiteren Nutzung und Haltung“ des Tieres.
Damit ist auch eine Kastration aus Haltungsgründen erlaubt. Denkbar wäre z.B.

 

  • die gemeinsame Haltung einer Jagdhundemeute
  • oder vielleicht auch ein komplex zusammengesetzter Mehrhundehaushalt.

 

Pure Bequemlichkeit, d.h. Blutstropfen auf dem Teppich, mangelnde Erziehung oder nicht-aufpassen-wollen fällt aber nicht darunter!

 

Begriffe:

Kastration: Entfernung der Keimdrüsen (Eierstock oder Hoden)
Sterilisation: Unterbindender Keimzell-ableitenden Wege (Eileiter, Samenleiter), das Tier ist unfruchtbar, aber hormonell intakt
Testosteron: männliches Geschlechtshormon, wird überwiegende, aber nicht nur, in den Hoden produziert
Östrogen: weibliches Geschlechtshormon, wird überwiegende, aber nicht nur, in den Ovarien produziert

Literatur:

Niepel, G: Kastration beim Hund. Chancen und Risiken. Kosmos-Verlag.
Strodtbeck, S und Gansloßer, U: Kastration und Verhalten beim Hund. Müller-Rüschlikon-Verlag. (Absolut empfehlenswert!)
Olson PN et al: Early neutering of dogs and cats in the United States (a review). J Reprod Fertil Suppl., 2001; 57:223-32
Torres de la Riva, G et al: Neutering Dogs: Effects on Joint Disorders and Cancers in Golden Retrievers. PLOS Feb 2013, Vol 8, Issue 2

Ein Gastbeitrag von Dr Sibylle Ott
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