Der Waldspaziergang ist für viele Vierbeiner und Hundehalter ein großes gemeinsames Hobby. Raus an die frische Luft, eine Brise Holz in der Nase, weichen Waldboden unter den Füßen und ringsum leichtes Knacken der Äste und Vogelgezwitscher – statt Motorengeräusche und Stimmengewirr. Hund und Mensch suchen Entspannung. Alles wäre perfekt, wenn wir ganz alleine im Wald wären.
Unsere entspannte Grundstimmung kann schnell umschlagen, wenn der Sichtjäger zu unseren Füßen ein wegkreuzendes Reh entdeckt. Der soeben noch anwesende Spurjäger entfernt sich möglicherweise zielgerichtet und mit hoher Beschleunigung aus dem Einflussbereich seines Menschen. Unser Wegbegleiter wechselt in den Jagdmodus. Die Leine ist ab und der instinktgetriebene Vierbeiner wird plötzlich taub und rast ins Unterholz, unfähig eine angemessene Reaktion auf unser Rückrufsignal zu zeigen. Die Entspannung schwindet mit rasender Geschwindigkeit für alle Beteiligten – schlimmstenfalls ist unser Möchtegernjäger erst mal unerlaubt und unbeaufsichtigt weg.
Warum der Jäger an die Leine gehört
Ein Hund der nicht zuverlässig rückrufbar ist, sollte angeleint werden. Mit “zuverlässig” ist eine erfolgreiche Rückrufquote von nahezu 100% in jeglichen Situationen gemeint, auch bei schier unwiderstehlich große Außenreizen in Form von Hasenohren oder Hirschpopos.
Sie fragen sich jetzt vieleleicht: Warum sollte ich meinen Hund anleinen? Wo bleibt der Spaß? Der Grund ist: Weil wir beim Spazierengehen ein fremdes Revier betreten, in dem andere Regeln und Gegebenheiten als im Hausrevier unseres Hundes gelten. Hier sind Hund & Halter nur zu Gast. Unser Vierbeiner ist schließlich auch alles andere als begeistert, wenn ein Unbekannter mit Affenzahn in sein Revier hineinrast, er zu allem Überfluss bedrängt wird und sich von einer Sekunde auf die andere in Lebensgefahr wähnt.
Opportunisten würden jetzt vielleicht einwenden, dass man im Frühjahr und Sommer aufgrund der schutzlosen Jungtiere selbstverständlich die Leine anlegen muss, aber im Herbst oder Winter doch risikofreier durch den Wald marschieren könne. Dieser Gedanke ist leider falsch: Im Wald ist immer etwas los. Zu jeder Jahreszeit gibt es neben der Gefahr für ahnungslosen Wildtieren noch weitere gute Gründe, den selbst pelztragenden Jäger sicher neben sich zu führen. So gibt es unterschiedliche Regelungen in den Jagdgesetzen der Länder. Schlimmstenfalls kann unser jagender Freund einem gezielten Schuss zum Opfer fallen.
Zu unterschiedlichen Jahreszeiten im Wald:
Im Frühjahr bekommen die Wildtiere ihre Jungen oder tragen sie aus. Es können uns schon die ersten Feldhasenjungen und trächtigen Rehmütter begegnen, Vögel haben ihre Eier gelegt. Ein herumstromernder oder im schlimmsten Fall sogar jagender Hund stört die Ruhe, die vor allem für die Tiermütter sehr wichtig ist.
Im Sommer sind viele junge Tiere, vor allem Rehkitze und Wildschweinferkel, frisch auf der Welt und im Gegensatz zu den Alttieren oft noch nicht schnell und erfahren genug, um einem jagenden Raubtier zu entkommen. Besonders gefährdet sind Rehkitze und Entenkinder. Wenn die Ricken auf Feldern oder am Waldrand Nahrung aufnehmen, lassen sie ihre Kitze im Unterholz oder im hohen Gras zurück. Wird das Jungtier dort aufgeschreckt, ist ein Jagderfolg des Hundes mehr als wahrscheinlich. Entkommt es unserem Jäger, nimmt die Mutter es vielleicht nicht mehr an oder findet es nicht mehr auf, was den Tod des jungen Wildtieres bedeutet. Für unsere Entenjäger sind noch nicht flugfähige Entenküken leichte Beute. Und wenn Mama Wildschwein um die Ecke gebogen kommt, verkehrt sich die Situation ins Gegenteil: Dann ist plötzlich der Jäger der Gejagte.
Im Herbst bereiten sich die Wildtiere auf den Winter vor und sind sehr aktiv unterwegs, um Nahrung aufzunehmen und Fettpolster aufzubauen. Da es zeitiger dunkel wird, sind die Tiere auch eher als gewohnt unterwegs, der Zeitpunkt für den Einsatz der Hundeleine verschiebt sich somit nach vorne.
Im Winter leben die Waldtiere auf Sparflamme. Um Energie zu sparen, ist bei Kälte die Herzfrequenz ein wenig niedriger als normal. Die Tiere sind damit anfälliger für Störungen und können danach eventuell nicht mehr ausreichend neue Energie durch Nahrungsaufnahme gewinnen.
Zum Schutze und für die Nerven aller Beteiligten ist dieser Text ein Plädoyer dafür, unseren instinktgetriebenen Jagdfreund im Wald besser an die Leine / Schleppleine zu legen. Besonders dann, wenn seine Jagdleidenschaft ausgeprägt ist, bereits von Erfolg gekrönt oder der Rückruf unter großen Außenreizen nicht nahezu 100% zuverlässig funktioniert. Aber seien Sie beruhigt: Die Rückrufbarkeit eines Hundes lässt sich meist erfolgreich mit Konsequenz trainieren.
Ein Gastbeitrag von Julia Hartkopf
Bild & Quelle: Julia Hartkopf