Die Examensarbeit von Heiko Schnickmann, der als Historiker über die Bedeutung des Hundes im Mittelalter geschrieben hat, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Janine Linke vom Grin-Verlag.

Für Porthos und Senta

Einleitung: Der Hund als Objekt der historischen Forschung

Marion Schwartz stellt am Anfang ihrer Monografie „A History of Dogs in the Early Americas“ fest, sie besitze keinen Hund . Ihrem Beispiel sei gefolgt. Der Verfasser dieser Arbeit hingegen ist Hundebesitzer und nennt sogar zwei dieser Tiere sein Eigen. Daher kennt er aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit anderen Hundeeignern Probleme und Freuden, die mit diesen Tieren einhergehen.
Schon beim Kauf eines Hundes fragt man sich unweigerlich, warum man das tut. Grob überspitzt hat so ein Tier ja keinerlei Funktion. In Zeiten von Alarmanlagen und Sicherheitsagenturen, braucht man keinen Wachhund, im Gegenteil stört das Bellen meistens, nicht nur einen selbst sondern besonders Nachbarn. Dem Landwirt und dem Schäfer werden diese Tiere ja durchaus von Nutzen sein, aber in der Stadt sind sie dieses Nutzens scheinbar beraubt. Selbiges gilt auch für die Funktion als Jagdhund. Stadtbewohner jagen nicht mehr, höchstens zu ihrem persönlichen Vergnügen. Diesen Menschen sei ein Hund zugestanden, doch wofür braucht der Teil der städtischen Bevölkerung einen Hund, der nicht jagt?

Der Hund birgt keinerlei Nutzen für den typischen Bewohner einer Stadt. Daneben ist der Besitz eines Hundes sogar eher mit Nachteilen verbunden. Neben der Bezahlung der Ware Hund kommt generell eine kommunale Abgabe hinzu , die jährlich bezahlt werden muss. Hinzu kommen die Ausgaben für Futter und Spielzeug. Zahlen muss man auch für Versicherungsprämien und Behandlungen durch Veterinäre.
Neben der finanziellen Belastung trägt zudem noch der zeitliche Aufwand. Ein Hund will beschäftigt werden, muss mehrmals am Tag hinaus und kann bei Krankheit und später im Alter seinen Besitzer sogar nachts dazu zwingen. Erziehung und sportliche Aktivitäten schlagen nicht nur finanziell sondern auch zeitlich zu Buche.
Trotzdem ist der Hund weiterhin das zweitbeliebteste Haustier der Deutschen. Im Jahr 2007 waren 13, 4 Prozent der deutschen Haushalte in Besitz eines Hundes . Es darf also die Frage erlaubt sein, warum dem so ist. Objektivität lässt sich dabei kaum von einem Hundebesitzer erwarten. Abgesehen von Allgemeinplätzen, über den Grad der Niedlichkeit eines Hundes oder den Grad seiner Stärke, wird man kaum etwas hören. Das liegt aber wohl an der Tatsache, dass der Besitz eines Hundes, wenn es sich dabei nicht um therapeutische Gründe handelt, kaum rational nachvollziehbar ist.
Es muss also einer andere Triebfeder hinter dem Hundebesitz bedürfen als der des Zwecks. Einen Hund zu besitzen, muss anderen Gesetzen folgen als den in unserer Gegenwart alltäglichen wirtschaftlichen Zwecken. Es muss einen Sinn neben dem rational Erklärbaren geben. Ein Ansatz diesen anderen Sinn auszumachen, liegt darin sich den Tieren und deren Beziehung zu dem Mensch zu nähern.
Dieser Weg jedoch ist bisher wenig beschritten worden. Die Geschichte dieses Tieres wurde eher immer in zoologischen und evolutionsbiologischen aber auch jagdhistorischen Studien betrachtet. Dies bezeugen die Hinweise auf weiterführende Literatur zum Thema „Hund“ im Lexikon des Mittelalters . Wie jung die Behandlung der Geschichte der Tiere generell innerhalb der Geschichtswissenschaft ist, erläutert auch Paravincini . Er zeigt auf, dass diese Richtung der Alltags- und Kulturgeschichte französische Wurzeln hat. Erst am Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts begann man sich mit der Geschichte der Tiere zu beschäftigen. Dabei wurde allerdings meistens immer ein weiter Bogen gezogen und das Tier in seiner Ganzheit betrachtet, über alle Artengrenzen hinaus .
Studien zu einzelnen Tierarten wiederum beschäftigen sich mit dem Wandel dieses Tiers in der Geschichte der Menschheit und beginnen mit der Vorgeschichte und enden dann in der heutigen Zeit . Viele dieser Darstellungen sind dann auch eher populärwissenschaftlicher Art . Einzelne Tierarten in einer Epoche finden sich lediglich in Aufsätzen, in denen dem Tier als solchem zwar eine besondere Bedeutung beigemessen wird, es allerdings nicht über die ihm vom Menschen zugewiesene Rolle hinauskommt und ohne das Tier selber als Forschungsobjekt in den Mittelpunkt zustellen .
Interessant ist die Quellenlage. Obwohl Althistoriker immer wieder beteuern, wie schlecht diese in ihrem Metier sei, scheint, was den Bereich der Hundegeschichtsschreibung in der Altertumswissenschaft angeht, ein großes Wissen erkennbar. Über archaische und klassische Zeiten hinweg bis hin zur Spätantike finden sich vor allem in den Gesamtdarstellungen immer wieder
Verweise auf die antike Tradition. Mit dem Beginn der Neuzeit folgt dann in den meisten Fällen eine große Detailkenntnis der Geschichte. Allein das Mittelalter scheint immer nur sehr marginal behandelt zu werden .
Es scheint daher an der Zeit, das Mittelalter im Bezug auf Hunde genauer zu untersuchen und die Erkenntnisse der verschiedenen Forschungen, zusammenzutragen. Dabei darf auch ein Blick auf bisher unbeachtete Quellen nicht fehlen.
Warum sollte man sich denn überhaupt mit dem Hund oder irgendeinem anderen Tier auseinandersetzten? Was ist eigentlich das Wichtige an einer Geschichte der Tiere? Dies soll kurz an der Geschichte des Hundes erläutern werden.
Erhard Oeser schrieb im Jahre 2001 einen Aufsatz, der den provozierenden Titel trug „Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des Affen“ . Er geht darin von den äußerst egoistischen und bösartigen Handlungen der Menschenaffen aus. Wenn diese, die nächsten Verwandten des Menschen, sich so antisozial verhalten, stellt er die Frage, wie der Mensch denn nun zu seinem sozialen Verhalten und seinen ethischen Grundsätzen kommt. Oesers Antwort darauf scheint in erster Linie kontrovers zu sein. Er attestiert der Koevolution von Hund und Mensch einen entscheidenden Anteil daran, weil eben der Mensch ohne den Jagdgenossen niemals gelernt hätte, wie wichtig eine soziale Ordnung ist, um das Überleben zu sichern. So unglaubwürdig Oesers Ansatz auch klingen mag, spiegelt sich doch diese Sehnsucht nach der Menschlichkeit des Hundes in Aussprüchen wieder, wie etwa in dem Friedrich dem Großen zugeschriebenem Bonmot, Hunde hätten alle guten Eigenschaften des Menschen, ohne deren Fehler zu haben . Der Hund scheint also tatsächlich in den Augen vieler Menschen mehr Menschlichkeit zu besitzen als der Mensch selbst. Allein dieser Vermenschlichung des Hundes lohnt einer nicht nur soziologischen oder psychologischen sondern auch historischen Betrachtung.
Ein weiteres Argument sich mit der Geschichte des Hundes zu befassen ist das Näherbringen der Kulturtechnik des Züchtens und der Domestikation. Der Hund ist wohl nicht nur das älteste Haustier des Menschen , sondern auch das einzige Tier, das es ohne Eingriff des Menschen nie gegeben hätte . Damit wäre ein wesentlicher Eingriff in die Natur durch den Menschen gemacht worden, der zu einer Änderung im Verhalten der Tiere führte und so sogar deren Evolution beeinflusste. Für den Bereich der Umweltgeschichte, die in Zeiten von Klimawandel und seinen Kontroversen immer wichtiger wird, ist somit auch eine Geschichte der Hunde bzw. der Tiere generell von Bedeutung . Entwicklung der Menschheit und auch Umweltgeschichte aber sind nur am Rande Thema dieser Arbeit. Das hat vor allem den Grund, dass beide Vorgänge in der Frühgeschichte des Menschen stattfanden.

Diese Arbeit aber befasst sich mit dem Mittelalter. Es geht um die Beziehung von Hund und Mensch. Wie so vieles innerhalb der Menschheitsgeschichte unterliegt auch die Beziehung zwischen Mensch und Hund dem Wandel. Der heutige Mensch hat ein anderes Verständnis vom Hund als der Mensch des Mittelalters.

Ziel dieser Arbeit soll sein, das Verhältnis des mittelalterlichen Menschen zum Hund deutlich zu machen. Es muss geklärt werden, ob der Facettenreichtum, den die Symbolik des Hundes ausmacht, sich tatsächlich auf den Hund im Allgemeinen bezieht, oder ob man Abstriche machen muss, je nachdem welche Art von Hund man vor sich hat. Darin scheint in meinen Augen die Antwort auf die in der Forschungsliteratur zu findende Verwunderung auf die sich widersprechende Symbolik des Hundes zu liegen. Auch dazu wird in dieser Arbeit eingegangen werden.
Um die Abgrenzung der mittelalterlichen Gesellschaft von den vorherigen Zeiten zu verdeutlichen, aber auch um das Erbe zu beleuchten, auf das diese Menschen geblickt haben, ist der erste Teil der Arbeit dem realhistorischen Überblick geschuldet, der sich von der Vor- und Frühgeschichte über Ägypten und Mesopotamien bis hin zur römischen und germanisch-keltischen Zeit zieht und dann nahtlos Früh- sowie Hoch-und Spätmittelalter miteinbezieht. Im zweiten Teil wird kulturhistorisch auf den Hund geblickt. Literatur, Religion und Rechtspraktiken werden nach Symbolik untersucht und erste Analyseversuche unternommen, um dann schließlich im dritten Teil der Arbeit die Symbolik der einzelnen Hunde zu beleuchten und wird auch nach der Hundehaltung eingeteilt sein. Zusammengefasst werden die Ergebnisse dieser Arbeit schließlich am Ende im letzten Teil.

I. Die Realgeschichte des Hundes

Unter „Realgeschichte“ soll zunächst auf das eingegangen werden, was gemeinhin als „Wirklichkeit“ bezeichnet wird. „Wie war es nun wirklich?“, ist eine Frage, die man oft hören kann. Da Geschichte aber immer nur eine Rekonstruktion dessen sein kann, was wir aus Hinterlassenschaften deuten, muss man diese Hinterlassenschaften auswählen. Im folgenden Kapitel geht es daher um Knochenfunde, Grabsteine, Inschriften, Geschichtsschreibung und andere Arbeiten, denen kein unmittelbarer fiktiver Charakter zugesprochen werden kann.

a. Von den Anfängen bis in das römische Kaiserreich und die außerrömische Welt

Ohne Zweifel ist der Hund das älteste Haustier der Menschen . Zusätzlich stellt seine Domestikation einen Sonderfall dar, weil sie nicht dazu diente, den Hund als Nahrungs- oder Kleidungsquelle zu nutzen, sondern der Hund Hilfe und Unterstützung sein sollte, um den Menschen in den Besitz dieses Materials zu bringen . Darüber hinaus entwickelte sich ein enges Verhältnis, dass nicht nur das Mittelalter prägte. Es scheint daher ratsam in einem weit zurückführenden Abschnitt das europäische Verhältnis zwischen Hund und Mensch näher zu beleuchten.

1. Vor- und Frühgeschichte

Die Domestikation des Wolfs führte zur Erschaffung des Hundes. Diese scheinbar zur Allgemeinbildung gehörige Feststellung ist bis vor wenigen Jahren noch nicht allzu klar gewesen und wird auch noch heute durchaus angezweifelt. Folgt man dieser Richtung, die in den fünfziger Jahren unter anderem auch von Konrad Lorenz vertreten wurde , stammt der Hund nicht vom Wolf ab, sondern eher vom Schakal. Auch im Standardwerk zur Geschichte der Haustiere von Frederick Zeuner, kann gelesen werden , dass der Hund sowohl vom Schakal als auch vom Wolf abstammen könne. Heute allerdings gilt durch Genanalysen als bewiesen, dass der Wolf der Vorfahr des Hundes ist.
Was aber macht den Wolf für den Menschen zu einem Tier, das als Haustier gehalten werden konnte? Eine allgemein akzeptierte Theorie, die in der Forschungsliteratur von den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit rezipiert wird, ist die Vermutung, dass Wolf und Mensch die gleiche Art der Jagd aufwiesen. Sowohl Wolf als auch Mensch waren bei ihrer Suche nach Nahrung der potenziellen Beute körperlich, etwa in Kraft oder Geschwindigkeit, unterlegen. Das zwang beide zur Kooperation mit anderen Wölfen bzw. Menschen . Dem Menschen ist diese Symmetrie im Jagdverhalten jedoch nicht sofort aufgefallen, belegen archäologische Funde doch, dass der Mensch zunächst auch den Wolf jagte, um diesen als Nahrung zu nutzen. So zeigen Knochenfunde aus dem chinesischen Ort Choukoutien bei Peking, dass der Wolf vor 500.000 Jahren durchaus noch zur Jagdbeute des Menschen gehörte, wie sich an Hand von Bissspuren auf den Knochen nachweisen lassen konnte . Das gleiche Verhalten des Wolfs bei der Jagd scheint im Menschen dafür gesorgt zu haben, dass er schließlich Wolf und Mensch als gleichrangig und geistesverwandt ansah.

Für das Zeitalter des Jungpaläolithikums (40.000 – 13.000 v. Chr.) kann nachgewiesen werden, dass eine Zähmung des Wolfes stattgefunden hat. Eine neuere Untersuchung hat sogar bereits dezidiert nachgewiesen, dass Hunde in Mitteleuropa für diesen Zeitraum existierten. An Hand eines Kieferknochen konnte belegt werden, dass es sich um einen Hund gehandelt haben muss . In Israel wurde ein 12.000 Jahre altes Grab untersucht. Der Bestatteten wurde auch ein Hund mit ins Grab gegeben. Auf Grund des Alters des Hundes, das auf nur wenige Monate geschätzt wird, ist nicht klar, ob es sich überhaupt ein domestiziertes Tier handelt, doch die Geste – die Bestatte hält den Hund im Arm – und auch die oben angeführte Untersuchung lässt dies vermuten. Ältere Literatur erwähnt zudem Knochenfunde aus der nordamerikanischen Jaguar Cave im Bundesstaat Idaho , wonach auch diese Knochen 10.000 Jahre alt sein sollen. Schwartz aber erwähnt, dass durch eine im Jahre 1987 stattgefundene Radiokarbonanalyse das Alter auf 3500 Jahre zurückdatiert werden musste . Auffallend an diesen Hunden jedoch ist die Tatsache, dass es wesentliche Größenunterschiede zwischen den Knochen der ausgewachsenen Tiere gibt. Zwei Hundearten konnten so ausgemacht werden . Neben dem erwähnten Hundefund sind auch in Europa weitere Gräber belegt. So ist ein Grab, dass um 12.000 v. Chr. datiert wird, bei Bonn gefunden worden.

In dem Zeitraum zwischen 500.000 und 12.000 Jahren vor unsere Zeitrechnung muss die Domestikation des Hundes stattgefunden haben, ein Ereignis, dass Lorenz als „Epoche machend“ bezeichnete. Zwei Theorien probieren dieses Ereignis zu erklären. Die erste Theorie geht davon aus, dass der Wolf auf der Suche nach Nahrung dem Abfall produzierenden Menschen folgte und sich so im Laufe der Zeit allmähliche selbst domestizierte.

Die zweite Theorie hingegen, geht von einem gezielten Akt des Menschen aus, der sich Welpen des Wolfs, vielleicht sogar die Jungen einer erlegten Wölfin, ergriff, sie nicht tötete, sondern sie mitnahm, und sich so diese Beziehung entwickelte.

Nach der Neolithischen Revolution wurde auch bald die Zucht von Tieren erprobt und damit auch die des Hundes, was durch Funde von Hundeknochen verschiedener Größe bestätigt wird. Erste historisch belegte, systematische Zucht jedoch kann erst in den frühen Hochkulturen nachgewiesen werden.
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Bidld & Quelle: psloane / Pixabay, creative commons public domain