Wenn man mit einem Hund lebt, dann ist man sich eigentlich bewusst, dass er nicht so alt wird, wie man selbst – aber glauben tut man es nicht! Mit Dingo ging es mir jedenfalls so, beschreibt Isabella Staudt-Millmann den langsamen und doch so plötzlichen Tod ihres Hundes.

Erst gestern war er doch eingezogen, so scheint es, plötzlich war er fast 14 Jahre alt und gebrechlich. Sein Gehör lies nach, er war fast blind.

Das war der Moment in dem ich mich das erste Mal mit der Sterblichkeit meines Hundes auseinander setzen musste.

Natürlich hatte unser Tierarzt in den letzten Jahren immer mal erwähnt, dass Dingo für sein Alter noch fit war – aber ich hatte nur das Wort „fit“ behalten, den Rest ignoriert. Bis mir auffiel, dass etwas mit seinen Augen nicht zu stimmen schien.

Er lief langsamer, unsicher. Türen waren ihm nicht mehr geheuer und er lief immer dicht hinter Lady oder mir her – fast nur noch mit Körperkontakt.

Dann kam der Tag als wir wie immer im Feld spazieren waren. Dingo schnüffelte hinter mir, Lady vor mir. Ich ging weiter und rief Dingo. Er hob den Kopf – dabei blickte er von mir weg – sonst passierte nichts.

Ich rief erneut… und er geriet sichtbar in Panik. Er drehte den Kopf und den Körper in verschiedene Richtungen, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen – er konnte mich nicht mehr sehen.

Dabei stand ich doch keine zehn Meter weg von ihm. Während ich noch darüber nachdachte, hatte Dingo seine Nase genutzt und lief los, nur leider in die falsche Richtung. Zum Glück hatte Lady irgendwie auch bemerkt, dass etwas nicht stimmte und rannte hinter ihm her. Sehr schnell hatte sie ihn eingeholt und er blieb stehen. Kurz danach war auch ich bei ihm.

Operieren lohnt nicht, sagte der Arzt

Wir ließen seine Augen untersuchen und der Arzt sagte uns, Dingo hätte Altersstar. Eine Operation sei bei seinem Alter und seiner Konstitution nicht mehr zu empfehlen. An diesem Tag kaufte ich die erste Flexileine meines Lebens – einfach um Dingo noch etwas Freiheit geben zu können, aber auch gleichzeitig Sicherheit.

Im Herbst konnten wir sehen, wie Dingo immer etwas weniger wurde. Er wurde dünner, sah zerbrechlicher aus.

Das Aufstehen viel ihm immer schwerer und er humpelte öfter. Der nächste Tierarztbesuch stand an: Arthrose. Wir mussten anfangen regelmäßig Medikamente zu geben und achteten auf seine Liegeplätze, boten ihm Rotlicht oder Wärmekissen an.

Die Rudelordnung ändert sich

Fast gleichzeitig übernahm Lady viel häufiger die Führung, wurde aber auch zu Dingos Aufpasserin. Sie blockte konsequent jeden anderen Hund von ihm weg

– bis auf sehr wenige Ausnahmen, die auch sehr rücksichtsvoll mit unserem Dingo umgingen. Beim Essen wurde er wählerischer, die Spaziergänge wurden kürzer und die Kuscheleinheiten länger. Wir gingen jetzt alle drei Monate zum Tierarzt, einfach um auf der sicheren Seite zu sein.
Wir alle waren froh, als sich das Frühjahr ankündigte. Die Kälte und die vereisten Wege hatten Dingo wirklich Probleme gemacht und wir atmeten auf, als die ersten Krokusse zu sehen waren. Unser Tierarztcheck war Mitte März und der Arzt war zufrieden. Die Schmerztherapie schien gut zu greifen und Dingo war soweit fit für seinen 15ten Geburtstag im April.

Dingo

Foto: Isabelle Staudt-Millmann
Quelle: Isabelle Staudt-Millmann

Ein Hoffnungsschimmer

Zu Beginn der ersten Aprilwoche lebte er richtig auf. Wir gingen relativ große Runden und Dingo fraß wieder mit viel Appetit – aber er nahm weiterhin ab. Das Hochgefühl hielt nur bis Mittwoch an. Da hörte er auf zu fressen. Ab und an ein paar Leckerchen, aber auch die nicht mit Genuss. Wir machten uns Sorgen, aber probierten es noch mal mit Leberwursthäppchen. Aus der Hand gefüttert nahm er ein paar Stückchen. So schafften wir den Mittwoch und den Donnerstag. Am Freitag wollte er nicht mehr laufen. Wir erhöhten wie abgesprochen die Schmerzmittel. Abends wollte er nicht mehr trinken. Die Nacht schlief er wie tot – ich kontrollierte zwischendurch sogar, ob er wirklich noch atmete.

In einigen Momenten wünschte ich mir, er würde einfach aufhören zu atmen; im nächsten Moment hätte ich mich dafür ohrfeigen können.

Als der Morgen graute versuchten mein Mann und ich mit den Hunden spazieren zu gehen.

Samstag, der 8.April

Ich brauchte auf einem erdebenen Weg fast 10 Minuten bis ich mit Dingo aus der Haustür im Garten war. Er versuchte sein Bein zu heben, ließ ein paar Tröpfchen fallen und kippte um. Es war Samstag, der 8. April 2006.

In drei Tagen hätte er seinen 15ten Geburtstag gefeiert…

und wir riefen unseren Tierarzt an um zu fragen, ob wir sofort kommen könnten – es wäre Zeit, Dingo zu erlösen. So fuhren wir mit Dingo und Lady zum Tierarzt, eine lange, schweigsame Fahrt.
Wir gingen mit beiden Hunden in die Praxis. Zum Glück war es außerhalb der Sprechzeiten und unser Tierarzt wartete nur auf uns. Dingo konnte die paar Treppenstufen nicht laufe, daher trug mein Mann ihn. Dingo wurde noch einmal abgehört und angeschaut –

den Blick des Arztes vergesse ich nicht. Da starb das letzte Fünkchen Hoffnung und Selbstbetrug!

Ich saß schon bei Dingo auf dem Boden, er legte sich in meinen Schoß. Mein Mann hatte Lady an der Leine und stand neben uns.

Dingo - der Hund ist gestorben

Foto: Isabelle Staudt-Millmann
Quelle: Isabelle Staudt-Millmann

Der Hund ist gestorben – in meinen Armen

Dingo bekam eine Betäubungsspritze – er bettet seinen Kopf etwas bequemer und schaute mich an. Lady kam mit ihrer dicken Nase an und stupste ihn leicht an, er hob seinen Kopf leicht in ihre Richtung – da stand sie auf und wollte gehen. Mein Mann ging mit ihr ins angrenzende Wartezimmer und auch unser Tierarzt ließ mich mit Dingo alleine. Die Betäubung sollte wirken, bevor er die endgültige Spritze bekam.

Ich saß so auf dem Boden mit Dingo und mir ging alles und nichts durch den Kopf – ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Ich merkte, wie Dingos Kopf auf meinem Arm schwerer wurde, er konnte die Augen nicht mehr offen halten.

Wie sonst, wenn er sich zum Schlafen an mich kuschelte, gab er ein brummeliges Geräusch von sich und die Muskeln entspannten sich. Unser Tierarzt und mein Mann kamen wieder – Dingo wurde noch einmal abgehört, das Herz schlug schon fast nicht mehr, er zeigte auch keine andere Reaktion mehr. Der Tierarzt gab ihm die erlösende Spritze und fast unmerkbar glitt Dingo aus der Betäubung in den Tod hinüber.
Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass der Brustkorb sich nicht mehr hob und senkte. Unser Tierarzt prüfte noch, ob der Herzschlag wirklich aufgehört hatte, dann zog er sich wieder zurück und gab uns Zeit.

Lady legte sich neben Dingo und wir ließen sie – ich war mir sicher, sie merkte was passiert war.

Schon nach einem kurzen Moment erhob sich Lady, schnupperte an Dingo und ging weg. Dingo, unser Hund ist gestorben. Mir fiel das Loslassen nicht so leicht – ich musste Dingos Körper sanft anheben um aufstehen zu können. Als ich stand und nach unten blickte, erschien mir alles nicht real, ich stand wirklich neben mir.

Der Hund ist gestorben – was geschieht mit dem Körper?

Schon vor einigen Monaten hatten wir uns mit einem anderen heiklen Thema in diesem Zusammenhang befasst: was machen wir, nachdem der Hund erlöst wurde, mit seinem Körper. Unsere Entscheidung ist für manchen wahrscheinlich nicht verständlich, aber wir haben Dingo bei unserem Tierarzt gelassen. Er arbeitet mit einem Tierkrematorium zusammen und sorgte dafür, dass Dingo dort verbrannt wurde.
Mein Mann legte Dingo zusammen mit unserem Tierarzt in ein einfaches Holzkörbchen, ich legte seine Decke über ihn, nahm ihm sein Halsband ab – ein Leben war vorbei.
Es dauerte lange, bis ich wirklich verstanden hatte, dass Dingo nicht mehr Teil unseres Lebens war. Oft hörte ich ihn noch Laufen, Bellen oder Motzen. Wie oft in den ersten Monaten erwischte ich mich bei einem: „Dingo – hier!“ Selbst heute gibt es oft Momente, in denen ich ihn vermisse. Der Hund ist gestorben, aber:

Er war halt Dingo – ihn kann niemand ersetzen.

Mehr über die Autorin Isabella Staudt-Millmann sowie dem verstorbenen Hund Dingo könnt Ihr hier erfahren.

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