Es gibt Ausmaße von Elend fűr die es einfach keine Worte gibt. Punkt. Dazu gehört die Lebensgeschichte meines West Highland White Terriers Jessie. Wobei ich versuche, das Wort „Leben“ in Bezug auf ihre ersten drei Jahre so gut es geht zu vermeiden.

Existieren trifft es schon eher, Dahinvegetieren vielleicht auch – aber selbst das klingt zu entspannt.

Daher nenne ich es gerne Űberlebens-Geschichte, Ein-und-Ausatmen und irgendwie mit dieser Panik klarkommen.

Wir reden nicht von Züchtern, sondern von Vermehrern

Jessie kommt aus einer Vermehrerzucht, wobei die Menschen, die sowas betreiben, Vermehrer genannt werden. Zűchter sind ja meist Leute, die Tiere lieben, an ihnen hängen und alles tun, um für ihr Wohlergehen zu sorgen. Dass sie damit auch Geld verdienen kann und will ihnen ja wohl niemand vorwerfen.
Nun, Vermehrern sind da anders: Wo Zűchter für gewöhnlich Hunde im Herzen haben, haben Vermehrer Dollarzeichen in den Augen. Es geht nur um eines: Profit! Hunde verkaufen sich bestens und kommen nie aus der Mode. Der Markt floriert. Also warum nicht ein schönes Scheibchen für sich selbst abschneiden?! Damit das Scheibchen möglichst groß ist, műssen „Produktionskosten“ gespart werden. Und jeder geschäftstűchtige Vermehrer weiß, wie das geht: man streiche Futter, medizinische Versorgung, Beschäftigung mit den Tieren, während man gleichzeitig möglichst viele Hunde heranzieht.

Das Endergebnis ist dann eine Art Legebatterie für Hunde.

In der Legebatterie geboren – im Teufelskreis geendet

Jessie musste am eigenen Leib erfahren wie sich das anfűhlt.

  • Selbst in der Vermehrerindustrie geboren, wurde Jessie viel zu früh der Mutter und den Geschwistern entrissen.
  • Der Mangel an Muttermilch fűhrte zu Problemen mit Zahn- und Knochenbau sowie dem Immunsystem. Ein besonders gesundes Fell konnte sich so auch nie entwickeln.
  • Der fehlende Kontakt zu den Eltern und Geschwistern verursachte grundlegende Probleme mit der Sozialisierung.
  • Was man aber bei Straßenwelpen durch Hundegruppen, Training, Liebe, tierärztliche Unterstützung und gutes Futter wieder ausgleichen kann, wird von Vermehrern jedoch gerne weiter in den Dreck gefahren. Jessie bekam weder Spielpartner noch Liebe noch artgerechte Ernährung.
  • Sie bekam drei Jahre Hölle.

    Hündin Jessie wurde befreit

    Bild & Quelle: Fipstinka Fuchs


    Ihr Zuhause war ein Käfig, der so klein war, dass sie entweder liegen oder geduckt sitzen konnte. Von Stehen oder gar Umdrehen konnte keine Rede sein. Das ging fast 24 Stunden am Tag so, 7 Tage die Woche, 3 Jahre lang. Dazu gab es absolute Dunkelheit, denn Jessie wurde im Keller gehalten. Dass sie dabei nicht alleine war, konnte nicht wirklich Trost spenden. Jessies Käfig stand in einem Regal, als einer von zehn. Von wegen Gewinnoptimierung und so.

    Warum einen Hund ausbeuten, wenn man zehn ausbeuten kann?

    Wie gesagt, man nennt diese Menschen aus gutem Grund nicht Zűchter.

    Es geht nur ums Überleben

    Zehn Hunde, fast bewegungsunfähig in absoluter Dunkelheit, keiner grundsozialisiert. Also wenn es da eine kleine tapfere Hundeseele gab, die es schaffte, gegen die Blindheit und Starre anzukommen… die Anwesenheit ängstlicher und gestresster Artgenossen, von Hunden űber Laute und den Geruchssinn vermittelt und wahrgenommen, trug sicherlich keinen Wohlfűhlfaktor zu der bescheidenen Situation bei. Es ging ums Űberleben, das musste jedem Tier klargewesen sein, denn die 30 Minuten pro Tag, die man aus dem Käfig raus durfte, um zu fressen und um seine Geschäfte zu erledigen, waren geprägt von Aggression, Angst und dem Kampf ums Futter.

    Futter wird überbewertet

    Wobei Futter in Jessies Zuhause nur eins hieß: Schweineeimer. Essensreste, gammeliges Brot. Sie wissen ja mittlerweile, dass es hier darum gung, an allen Ecken und Enden Produktionskosten zu sparen.
    Dass diese geschundenen Hundekörper irgendwie gesunde Welpen austragen sollten, ja nichtmal das zählte.

    Mangelerscheinungen, degenerierte Muskeln, Infektionskrankheiten sind die gängigen Folgen des Vermehrens.

    Leider gehörte meine Kleine dummerweise zu den Schwächsten und muss wohl viele traumatische Erfahrungen bei der Fűtterung gemacht haben, denn bis heute zeigt sie ein gestörtes Essverhalten.

    Warum auch einen Tierarzt rufen?

    Was die medizinische Versorgung anging, gibt es nicht viel zu berichten. Es gab keine. Nichtmal, als Jessie einen Kaiserschnitt brauchte. Selbst ist der Vermehrer! Und damit möchte ich DAS Thema eigentlich auch abschließen.

    Sie sind überall, auch in Deutschland

    Wir reden hier nicht für Lieferanten von osteuropäischen Wochenmärkten. Deutsche Vermehrer gibt es in Ihrer und meiner Nachbarschaft.

    Selbst der gefűhlskälteste Hundequäler weiß, welchen tierliebenden Nerv er beim Käufer treffen muss.

    Daher werden die Welpen von Jessie und Co auch schön zurechtgemacht. Während die Muttertiere mit verfilztem, stinkenden Fell den eigenen Ekzemen űberlassen werden, ihnen das Fell so lang zwischen den Pfoten rauswächst, dass sie kaum laufen können während ihres dreißigminűtigen Freigangs, putzt der Vermehrer den Nachwuchs schön soweit heraus, dass die Kleinen nicht auf das Elend der Großen schließen lassen.

    Die Werbetricks der Vermehrer in Deutschland

    Und weil man in Deutschland Hunde nicht so leicht illegal auf Wochenmärkten verkaufen kann, greift man gerne zu Kleinanzeigen in Print- und Internetmedien und gibt sich ebenfalls als Tierfreund in Not aus: „Unsere Bella ist unbeabsichtigt schwanger geworden und jetzt suchen wir dringen Plätze für ihre sűßen Welpen.“ – „Kleine Racker aus liebevoller Heimaufzucht suchen ein Fűr-Immer-Zuhause“.

    Und wir machen noch mit!

    Ja, Mensch, da will man doch helfen! Und selbstverständlich gibt man etwas für die aufwendige medizinische Versorgung der Tiere, einen kleinen Obulus für die kostspielige Ernährung von Mutter und Nachwuchs, und klaro sitzt auch was für den Aufwand dran. Man DENKT ja nichts böses. Wie sollte man auch darauf kommen, dass Vermehrer zu dem fähig sind, was sie tun.

    Checkliste beim Kauf von Hundewelpen

    Natürlich sind nicht alle Menschen, die Hunde im Netz verkaufen eiskalte Monster. Aber doch mehr als man denkt. Man kann aber die Spreu vom Weizen trennen, indem man einige einfache Dinge im Hinterkopf behält:

  • Ist der Welpe mit den Geschwistern in etwas, das man als Wurfbox oder einer Art Laufstall bezeichnen kann?
  • Ist die Mutter dabei?
  • Sieht die Mutter gesund aus?
  • Haben die Tiere Impfausweise?
  • Auch wenn ein Nein auf eine dieser Fragen nicht zwangsläufig bedeutet, dass hier ein Vermehrer am Werk ist, ist selbst ein einziges Nein Grund die Situation zu hinterfragen.

    Die Tiere sollten einen Impfpass haben. Wenn sie zu jung sind, um geimpft worden zu sein, sind sie zu jung, um der Mutter weggenommen zu werden.

    Kein Impfass bedeutet oftmals, dass zu keinem Zeitpunkt für Muttertier oder Nachwuchs medizinische Versorgung bestand. Ich lebe auch nicht hinterm Mond. Ich weiß, dass ein tatsächlich ungeplant schwanger gewordener Hund den Besitzer in arge finanzielle Bedrängnis bringen kann. Aber ein Welpe, der nicht EINmal nachweisbar in seinem Leben einen Tierarzt gesehen hat, ist trotzdem ein Warnzeichen, das zwar keine sofortige Steinigung des Verkäufers erfordert aber zumindest doch einen geschärften Spűrsinn für weitere Auffälligkeiten.

    Wie zum Beispiel das Verhältnis zum Rest der Hundefamilie. Welpen gehören zusammen. Haben sie schonmal Welpen von der Wurfbox aus gemeinsam die Welt erkunden gesehen? Wie man bei uns im Ruhrgebiet sagt: „Das musso.“ Welpen lernen von und mit ihren Eltern und Geschwistern all jene Dinge, die sie später zu tollen Gefährten für Menschen machen. Sie tun weder sich noch ihrem Hund einen Gefallen, wenn sie nicht die ca 12 Wochen abwarten, die ein Welpe braucht, um eine natürliche Grundsozialisierung zu erfahren.

    Man sollte immer die Mutter sehen dürfen

    Es gibt keinen guten Grund, warum Sie das Muttertier nicht sehen sollten und jeder Tierfreund wird dafür Verständnis haben. Ein Vermehrer jedoch kommt dabei in arge Bedrängnis. Bestehen Sie darauf bei Privatverkäufen von Welpen die Hűndin zu sehen, die geworfen hat.

    Und sollte Ihnen irgendetwas spanisch vorkommen, wenden Sie sich an den örtlichen Tierschutzverin. Das hat auch Jessie das Leben gerettet.

    Jessie sollte nach zwei Totgeburten verkauft werden. Oftmals landen wertlos gewordene Tiere wie sie einfach im Gartenteich. Aber die Profitgier ihrer Vermehrerin kannte keine Grenzen und so wurde Jessie angeboten. Ein Interessent schöpfte bei ihrem Anblick und der Anwesenheit űberraschend vieler Welpen, die nicht von ihr sein konnten, Verdacht und kaufte sie dem Verm…

    Wie man sich richtig verhält

    Nein. SO endet die Geschichte nicht. Ja, es schöpfte ein potentieller Käufer Verdacht. Aber er tat das Richtige und alarmierte den lokalen Tierschutz, der sich die Hunde unter einem Vorwand ebenfalls anguckte und sich schließlich mit dem Veterinäramt in Verbindung setzte, welches dafür sorgte, dass nicht nur Jessie sondern jedes dieser armen Geschöpfe befreit wurde, die immer noch in der Hölle des Kellers gefangen waren.

    Vermehrern aus falsch verstandener Tierliebe Hunde abzukaufen vergrößert und verlängert das Leid dieser Tiere, da es den Markt aufrecht erhält.

    Vermehrer befinden sich weit jenseits der Legalität, weshalb man unbedingt den Tierschutz einschaten sollte. Dort weiß man, wie vorzugehen ist, auch wenn man sich selbst vielleicht nicht traut, gleich bei den Behörden Alarm zu schlagen.

    Was der Tierschutz macht

    Die Tiere werden für gewöhnlich befreit, aufgenommen, untersucht, behandelt, wenn es der Zustand zulässt, sterilisiert oder kastriert und dann gegen eine Gebühr von €200-€350 vermittelt. Und selbst, wenn Sie eigentlich keine Tiere mögen und Ihnen die Viecher total schnuppe sind, wenn Sie nicht einen Funken Tierliebe im Herz haben, ihr Sohn aber bewiesen hat, dass er reif genug für einen Hund ist und sie nun lediglich Ihre Kaufoptionen abwägen, um nicht auf die Nase zu fallen: selbst DANN műssen Sie sich vehement gegen Vermehrer wenden. Denn ein Welpe aus derartig schlechter Haltung, mit geschwächtem Immunsystem, Fehlentwicklungen im Zahn- und Knochenbereich oder einem massiv gestörten Sozialverhalten, das sein ganzes Leben beeinflussen kann, ist KEINE „gute Investition“. Űbrigens auch nicht für bekennende Tierfreunde, aber ich gaube die haben das schon weiter oben verinnerlicht.

    Happy end für Jessie


    Jessie hat ihrer Hölle vor fűnf Jahren den Rűcken gekehrt und hat sich seitdem in eine Schmusebacke erster Güte verwandelt. Aber ein Teil von ihr ist in diesem Kellergefängnis gestorben: Der Teil, der es schafft, mal einfach einen Tag lang angstfrei zu erleben. Der Teil, der ausgelassen spielt und jedes Mal herzhaft reinhaut, wenn es was zu futtern gibt. Viele Dinge hat sie mittlerweile erlernt und verstanden. Trotzdem ist ihr Alltag auch heute noch von ihren ersten traumatischen Jahren geprägt, körperlich, psychisch und emotional. Wie das aussieht, wie wir damit umgehen und welche Tricks und Kniffe uns neben ganz viel Liebe und Geduld geholfen haben, Jessies extreme Ängste auf ein für sie erträgliches Maß abzubauen, darűber werde ich hier demnächst regelmäßig schreiben.

    Ein Gastbeitrag von: Fipstinka Fuchs

    Titelbild & Quelle: National Mill Dog Rescue, via Fipstinka Fuchs