Vor knapp sieben Jahren hatte ich so etwas wie einen Ohrwurm. Na gut, nicht direkt einen Ohrwurm – schließlich handelt es sich dabei zumeist um ein Lied, dass man trotz aller Versuche nicht aus dem Kopf verbannen kann. In meinem Fall waren es Bilder. In diesen Bildern kam ich vor. Und ein Hund. Ich stellte mir idyllische Szenarien vor. So sah ich mich an einem milden Frühlingstag mit einem in meiner Vorstellung nicht näher definierten Hund über eine Wiese tollen. Meine Fantasie war allerdings keinesfalls auf eine Jahreszeit begrenzt, schließlich ließ sich das wunderbar auf Sommer, Herbst und Winter übertragen. Herumtollen können Hunde bekannterweise immer, egal, ob die Wiese nun gerade von Frühlingsblumen, nicht mehr ganz so grünem Gras, Blättern oder Schnee bedeckt ist. Mit der Zeit wurden diese Bilder immer detailreicher. Der Hund und ich beim gemeinsamen Frisbeespiel. Der Hund und ich, wie wir lustige kleine Tricks üben. Und, nicht zu vergessen ­ man ahnt es schon! ­ der Hund und ich beim wohlverdienten abendlichen Kuscheln. So war das. Heute bin ich realistischer.

Kurz gesagt: Ich wünschte mir einen Hund. Ich bin mit Familienhunden aufgewachsen, nun sollte es aber doch endlich mal ein eigener sein.

Die Vorstellung ließ mich nicht mehr los, und so wurden meine Pläne immer konkreter. Die örtliche Buchhandlung freute sich über zahlreiche Bestellungen meinerseits, schließlich können ein oder zwei (oder auch mehr) Bücher über Hunde nicht schaden. Solchermaßen gewappnet, dachte ich über meine Ansprüche nach. Ich brachte es auf stolze drei Punkte.

Erstens: Nicht zu groß.

Zweitens: Nicht zu klein.

Drittens: Definitiv ein Hund aus dem Tierheim.

Nachdem diese unglaublich engen Richtlinien festgelegt waren, begann ich damit, das Internet zu durchforsten und stieß relativ schnell auf die Website eines nahegelegenen Tierheims. Dort gab es alles – große Hunde, kleine Hunde, alte Hunde, junge Hunde. Und dort gab es auch Luna, die damals noch nicht Luna hieß, sondern Hofeher. Warum auch immer, diese strubbelige Hündin, die ursprünglich aus Ungarn kam und gerade mal zwei Monate im deutschen Tierheim saß, genau die wollte ich kennenlernen.

Gesagt, getan – man kennt es ja: „Nur mal gucken!“ Also fuhr ich am Wochenende ins Tierheim und trug mein Anliegen vor. Bei der Gelegenheit stolperte ich gefühlte 5 Mal über den Namen „Hofeher“ , trotzdem führten mich die netten Mitarbeiter zum entsprechenden Zwinger, wobei sie das Tier beschrieben mit „eigentlich ganz freundlich, aber ne echte Wildsau“. Nun denn…

Da stand ich also vor besagter Unterbringung. Ich war neugierig ­ Luna nicht, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre eigentlich als Liegeplatz gedachte Decke zu schreddern. (Das hätte mir etwas sagen sollen, nicht wahr?!) Trotzdem ließ ich mich nicht abschrecken, schließlich kann man sich auf einer gemeinsamen Gassirunde wesentlich entspannter kennenlernen. Luna sah das auch so, die wollte ebenfalls viel kennenlernen. Bäume, Sträucher, Grashalme – nur nicht mich. Ich war offenbar nur der fiese Bremsklotz am anderen Ende der Leine, der sie von ausgedehnten Erkundungen abhielt. So kam ich also nach einer Dreiviertelstunde recht atemlos wieder am Tierheim an und hatte beschlossen: Dieser Hund soll es sein!

Ganz ehrlich, ich weiß bis heute nicht, was genau mich so an ihr faszinierte. Bei vielen Menschen entscheidet nicht zuletzt die Optik. Man sieht einen Hund und ruft begeistert „Ach, wie süß!“. Ich fand Luna nicht süß, sondern eher originell. (Heute ist sie natürlich der schönste Hund der Welt, aber das ist ja sowieso klar, nicht wahr?)

Ich erwähnte ja schon einmal die vorangegangenen Familienhunde (zwei an der Zahl) , beide gehörten eher zum Typ „rund und gemütlich“. Und nun war da dieses Tier. Windhundmischling, zwar mit kaschierendem, sehr drahtigem Fell, aber darunter nur Haut und Knochen. Von hinten betrachtet bestand gewisse Ähnlichkeit mit einem Schaf – dünne Beinchen, der Rest eher puschelig.

Wie dem auch sei, ich vereinbarte einen sogenannten Probetag. Dieser soll dazu dienen, dass man überprüft, ob man selbst und der Wunschhund zueinander passen. Auch hier schlug im Vorfeld meine Fantasie voll zu. Vermutlich würde das Tier voller Begeisterung die Wohnung stürmen, auf dem geplanten Nachmittagsspaziergang viel mehr an mir interessiert sein als an Grashalmen und zum Abschluss des Tages ganz sicher idyllisch mit mir kuscheln. Eine Woche später wurde ich dann übrigens von der Realität eingeholt.

Besagte Woche verbrachte ich damit, die Stunden bis zum „Großen Hunde­Event“ zu zählen. Außerdem traktierte ich meine ahnungslosen Mitmenschen mit Fotos. „Guck mal, den Hund will ich haben! Gut, oder? Guck doch mal!“ Die Kommentare reichten von „Oh, süß!“ über „Sieht ja … hmmmm… nett aus. Bisschen dünn, oder?“ bis hin zu „Jetzt beruhig dich halt mal wieder – das ist eine Tierheimwebsite und keine Partnerbörse.“

In der Nacht vor dem „Großen Hunde­Event“ war ich dementsprechend ungefähr so entspannt wie ein Kind kurz vor Weihnachten. Die Minuten vor der Abfahrt in Richtung Tierheim hatten dann auch etwas von einem Raketenstart – Three … Two … One… Zero!

Dort angekommen hieß es: Schnell die Formalitäten erledigen und dann ­ schnell, schnell, schnell! ­ das Hundetier verladen. Schließlich will man ja so viel gemeinsame Zeit wie nur möglich verbringen. Ich stellte begeistert fest, dass Luna kein Problem damit hatte, im Auto mitzufahren, besonders wo doch Familienhund Nummer zwei dazu neigte, sich nach spätestens fünf Minuten Fahrt zu übergeben, bevorzugt in besonders schlecht zu reinigende Stellen. Ich wertete das als gutes Zeichen und gab mir redliche Mühe, mehr auf den Verkehr zu achten als auf Lunas Profil im Rückspiegel.

Daheim wurde dann ziemlich schnell klar, dass Luna – zu diesem Zeitpunkt immerhin schon dreieinhalb Jahre alt – offenbar noch nie oder zumindest sehr selten ein Haus von innen gesehen hatte. Meine Vorstellung eines glücklichen Hundes, der voller Neugier die im ersten Stock gelegene Wohnung erkundet, zerschlug sich in den ersten dreißig Sekunden. Das lag vor allem daran, dass das Tier offenbar mit Treppen noch nie engere Bekanntschaft geschlossen hatte. Kurz gesagt: Luna weigerte sich, auch nur eine oder zwei Stufen zu bewältigen. Als einzige Lösung sah ich eine großangelegte Leckerlioffensive. Heute schafft sie eine vergleichbare Treppe gewissermaßen in Nullkommanix. Damals brauchte ich ungefähr 15 Minuten, gefühlte zehn Kilo an Keksen und vor allem eine Engelsgeduld, bis sie schließlich oben angekommen war.Aus Hundesicht betrachtet war die Besteigung des Mount Everest wohl nichts dagegen.

Nun denn – irgendwann hatten wir es geschafft. Luna gab ein erleichtertes „Hmpf!“ von sich und machte sich daran, ihr Umfeld in Augenschein zu nehmen. Dies tat sie allerdings nicht so, wie ich mir das naiverweise vorgestellt hatte. Ich hatte einen interessiert schnuppernden Hund vor meinem inneren Auge gesehen, der sich nach einiger Zeit einen bequemen Liegeplatz aussucht. Ich schätze, die Szene mit Luna und der Decke (wir erinnern uns) hätte mich warnen sollen. Dieser spezielle Hund erforschte seine Umgebung nicht nur mit der Nase, oh nein!

Stattdessen begab sie sich auf Streifzug. Alles Interessante wurde nicht nur berochen, sondern auch angeknabbert. Dementsprechend verbrachte ich den Probetag nicht so wie erhofft, sondern hauptsächlich damit, meinem potentiellen eigenen Hund hinterherzurennen und ihm im Minutentakt ungeeignete Dinge aus dem Maul zu ziehen. Bücher, Stifte, Zeitschriften, die Ecken vom Wohnzimmerteppich – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Am Ende des Tages waren wir dann auch beide geschafft. Luna (die nach wie vor nicht wirklich Kontakt zu mir aufgenommen hatte) von den vielen neuen Eindrücken, und ich von einer Kombination aus nicht erfüllten Erwartungen und dem ständigen Bemühen, sowohl den Hund als auch die Einrichtung vor größerem Schaden zu bewahren.

Um es kurz zu machen: Nichts, und wirklich gar nichts lief so wie geplant. Keine Spur von trauter Zweisamkeit, idyllischem Kuscheln oder auch nur vorsichtiger Kontaktaufnahme von Seiten des Lünchens. Ich war ernüchtert. So hatte ich das nicht geplant! Elendige Realität, die einem immer so lästig in die Quere kommt. Also fuhren das Lünchen und ich wieder gen Tierheim. In meinem Kopf herrschte Chaos, Luna schlief selig auf der Rückbank. „Und, wie war ́s?“ fragten die Tierheimmitarbeiter. „Wollen Sie Hofeher haben?“ Ich dachte an die teilweise geschredderte Einrichtung, an die komplette Ignoranz des Stelzflokatis mir gegenüber, an den mehr als denkwürdigen gemeinsamen Spaziergang am Nachmittag, den Luna hauptsächlich damit verbrachte, alles und jeden anzubrüllen – und hörte mich antworten mit „Jawoll, die isses“.

Welch Irrsinn! Offenbar waren die Kitschbilder stärker als mein gesunder Menschenverstand. Oder ahnte ich damals schon, dass dem Lünchen und mir ein langer, gemeinsamer Weg quasi vorbestimmt war? Ganz klar: Nein. Ich hatte keine Ahnung. Vor allem hatte ich keine Ahnung, was mit dem simplen „Die isses!“ auf mich zukommen sollte.

Heute sage ich, dass das die beste dämliche und unüberlegte Entscheidung meines Lebens war – auch wenn ich im Laufe der Zeit mehr als einmal an meiner geistigen Gesundheit gezweifelt habe. Aber fangen wir vorne an. Das ist die Geschichte von Luna – also known as Prinzessin Irrsinn, Bodenlenkrakete, Lünchen oder auch Blasenkopp – und mir. Kann’s losgehen? Ja? Dann klappt die Sitze senkrecht, atmet tief durch und begleitet uns auf unserer Reise!

Ein Gastbeitrag von Manuela Mentel

Bild & Quelle: Manuela Mentel