Boah, in mir zittert noch alles. Eigentlich dachte ich ja, dass ich inzwischen so abgeklärt bin, dass mich nix mehr umhauen könnte. Aber denkste, Puppe!

Wer mich kennt, der weiß, dass ich ausgesprochen klug bin. Aber klug an sich bedeutet nun mal nicht unbedingt, dass man alles weiß. Nur dass man immer bereit ist, dazu zu lernen. Und das musste ich gerade. Und zwar so was von, heidewitzka! Dabei fing alles harmlos an. Eine winzige Meinungsverschiedenheit mit meinem griechischen Bruder. Weiß gar nicht mehr den Zusammenhang, jedenfalls sacht der auf einmal, dass ich auch ein Tierschutzhund sei. Erst denke ich, er macht wieder einen seiner mäßig erfolgreichen Witze. Doch dann stellt sich raus, dass er das tatsächlich ernst meint. Mein Lachen bleibt mir beinahe im Hals stecken.

„Ey, ich kann dir jederzeit meine Papiere zeigen!“, schnauze ich ihn an.
„Du bist ja dumm“, antwortet er dreist und zieht eine Augenbraue arrogant nach oben. „Als ob einen irgendwelche Papiere davor bewahren würden, ein Tierschutzfall zu werden. Auf welchem Stern lebst du denn?“
„Die Papiere und ein tadelloses Benehmen.“, kontere ich im Brustton der Überzeugung. Noch habe ich die auch. Ändert sich aber pronto.

Brady lacht, kriegt sich überhaupt nicht wieder ein. Irgend etwas ist in diesem Lachen, was das nahende Herzgewitter mit dumpfen Grollen anzukündigen beginnt. Tief in meinem Innern entsteht eine Ahnung, das Brady, obwohl er noch kilometerweit von echter Weisheit entfernt ist, doch schon sehr viel mehr vom Leben mitgekriegt hat als man ihm (jung und frech wie er so ist) zutrauen würde.
„Du weißt es wirklich nicht, oder?“ Sein Lachen verebbt langsam und er blickt mich forschend an.
„Was?“ Das Herzgewitter kommt näher, ich spüre es genau. Wünsche mir auf einmal, dass es einfach an mir vorbei zieht. Manchmal ist es besser, Dinge nicht so genau zu wissen.

„Die Tierheime sind voll!“

„Die Tierheime dieser Welt sind voll. Sie platzen aus allen Nähten. Voll mit einst stolzen Rassetieren wie dir und ehemaligen Straßenhunden wie mir und allen anderen eben. Manche sind schwere Jungs oder Mädchen, die die schlimmen Dinge nicht verkraftet haben, die ihnen die Menschen angetan haben, und nun aggressiv oder sonst wie meschugge geworden sind. Das ist nur aber nur kleiner Teil. Die Masse der Hunde hat sich überhaupt gar nichts zuschulden kommen lassen. Sie sind kein Bisschen auffällig und wären perfekte Familienhunde. Sie hatten einfach Pech. Waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Einige sind Scheidungsopfer, einige sind einfach unbedacht angeschafft worden. Menschen waren überfordert mit ihnen oder ihrer einfach überdrüssig. Die Liste ist lang. Zeitgleich werden immer neue Hunde auf den Markt geschmissen. Wir Hunde sind für viele Menschen nichts weiter als eine Ware. Nur so lange etwas wert, wie es gerade passt. Dann ausrangiert wie ein Paar alte Schuhe. Tja, und wenn du als Hund Glück hast, dann bist du in einem Land auf die Welt gekommen, in dem es nicht die Todesstrafe gibt! Willkommen in der Wirklichkeit, alter Mann. Und du bist wohl ein Tierschutzfall, der nur das Glück hatte, am Tierheim haarscharf vorbei zu schrammen.“

„Todesstrafe??“ Inzwischen ist mein Herzgewitter in vollem Gang. Es stürmt und braust in mir so doll, dass ich fast aus den Latschen kippe. Nur mit Mühe kann ich mich noch auf den Füßen halten.
„Jepp. In vielen Ländern gibt es Tötungsstationen, in denen unsere Kumpels nach einer kurzen Frist ermordet werden. Und zwar unabhängig davon, ob man ein schwerer Kandidat ist. Ebenfalls unabhängig vom Alter und Gesundheitszustand. Viele werden ja auch direkt auf der Straße vergiftet oder erschlagen. Wir sind einfach zu viele. Die Nachfrage ist nicht da.“

„Moment“, sage ich mühsam beherrscht. „Wenn ich dich richtig verstanden habe, werden trotzdem und zeitgleich immer neue Hunde gezüchtet, obwohl es für die bereits vorhandenen schon kein Zuhause gibt?“ Das macht alles keinen Sinn. Der Grieche lügt doch! So dumm können Menschen einfach nicht sein…Ich dachte, dass was damals mit Bradys Chef passiert ist, war ein trauriger Einzelfall.
Doch Brady nickt. Sieht für einen Moment gar nicht jung und wild aus. Hat diesen wissenden Ausdruck in den Augen, der mir gar nicht gefällt.
„Aber warum?“ bringe ich mühsam raus.

Auf Nummer sicher gehen

„Da ist die Liste auch lang. Unwissenheit ist wohl ganz vorn mit dabei. Vielen sind die Zusammenhänge genauso wenig klar wie dir bis eben. Dicht gefolgt von Vorurteilen. So wie deine. Hunde, die im Heim sind, müssen wohl irgendwas angestellt haben. Ist natürlich totaler Blödsinn so pauschal. Ich sag dir, es gibt unzählige Gut-Hunde, die da sitzen und umsonst hoffen. Haben noch nie einer Fliege was zu Leide getan und würden sich überall sofort einfügen. Aber sie kriegen keine Chance, weil die Leute lieber auf Nummer sicher gehen wollen und zum Züchter rennen. Ein echter Züchter-Hund eignet sich natürlich auch prima als Statussymbol. Mit ner undefinierbaren Mischung aus Rumänien kannst eher schlecht angeben.“

„Aber das ist doch grober Unfug, dass Hunde vom Züchter grundsätzlich keine Probleme machen!“ , poltere ich los.

„Sind ja nicht alle solch Sonnenscheine wie ich!“ Das weiß ich genau. Kenne nämlich ne Reihe von geistigen Voll-Schwachmaten, die aus 1a Züchtungen stammen.

„Natürlich nicht.“, stimmt Brady mir zu. „Deshalb gibt es ja auch jede Menge von euch Adligen, die ebenfalls im Heim vor sich hinvegetieren. Alte, junge, alles dabei. Aber es ist wie es ist. Menschen sind so.“
„Es ist wie es ist?“ schreie ich. Weiß gar nicht, wie lange es her ist, dass ich das letzte Mal geschrien habe. Aber jetzt kann ich meinen Ton gerade nicht zügeln.
„Das ist doch dein Spruch! Sachste doch immer…“Brady guckt verständnislos.
„Mann! Das sage ich zu den Sachen, die nicht zu ändern sind. Aber dass unsere Kumpels ermordet werden oder in den Heimen verschimmeln, weil es keinen Platz für sie gibt und zeitgleich neue produziert werden, gehört ja wohl nicht in die Kategorie“, stelle ich klar.

„Wir sind doch nur Hunde“

Er zuckt die Schultern. „Hm. Aber was willste machen? Wir sind doch nur Hunde, was sollen wir schon ausrichten?“
Ich nicke langsam und atme erstmal tief durch. Das Herzgewitter verebbt allmählich. Er hat natürlich irgendwie Recht. Allerdings bin ich ja der Helmut Schmidt unter den Hunden und darf deshalb hier meine Gedanken kundzutun. Und deshalb möchte ich jetzt im Namen aller heimatlosen Hundeseelen an die Herzen von euch Menschen da draußen appelieren.

Ihr, die ihr sagt, dass ihr Hunde liebt, wenn ihr einen freien Platz habt, dann nehmt einen von denen auf, die so sehnsüchtig auf ein schönes Zuhause hoffen und die schon da sind. Und egal welchen Geschmack ihr habt, und welche Rasse euch besonders zusagt, ich wette, dass es genau so einen beim Tierschutz gibt. Auch Welpen warten dort massenhaft, falls ihr euch keinen erwachsenen Hund zutraut oder ihr nicht darauf verzichten wollt, das Aufwachsen mit eigenen Augen zu sehen. Wer es allerdings stressfreier möchte, der tut sich selber den größten Gefallen, wenn er sich kein Baby ins Haus holt…

Ist es Euch klar?

Und ihr Züchter, Hobby-Hüchter und Hundevermehrer da draußen: ist euch klar, dass jeden Tag Hunde umgebracht werden, weil niemand sie haben möchte?
Bevor ihr also für weiteren Nachwuchs sorgt, könnt ihr ruhig mal drüber nachdenken…
So, ich habe fertig für heute und bin es auch. Kuschel mich tiefer in meine Decke und spüre, dass sich mein Herzgewitter langsam verzieht. Macht einem anderen Gefühl Platz. Warm ist es. Dann kann ich es identifizieren: leises Glück. Darüber, dass ich nicht um mein Leben fürchten muss und dass ich immer Menschen hatte, die sich um mich gekümmert haben. Gleichzeitig hat das Herzgewitter dafür gesorgt, dass mir nun klar ist, dass das gar nicht so selbstverständlich ist…bitte, ihr Menschen da draußen, kümmert euch um die Kumpels, die es noch nicht so gut haben wie ich.

Ich glaube daran, dass man alle falschen Dinge, die zu ändern sind, auch ändern sollte.

Und in diesem Fall braucht es nur ein wenig Verstand, zusätzlich genug Herz und schon würde es diese Probleme gar nicht mehr geben…

Tschüß
Euer Dino– der Weise, der sich jetzt erstmal erholen muss

Ein Gastbeitrag von Katrin Thiele

Bild & Quelle: Katrin Thiele