Mit anderen Worten: der Trend geht zum Zweithund.
Louis und ich waren uns im Prinzip sofort einig. Er signalisierte mir, er würde einen großen Teil der Erziehung des Welpen übernehmen. DAS glaubte ich sofort. Blieb die Frage, ob ich mit der Erziehungshilfe einverstanden wäre. Viel dringender aber war die Klärung einer anderen Frage: welche Taktik ist anzuwenden, um die beste aller Gattinnen davon zu überzeugen, dass sie nichts lieber als einen weiteren Stinker im Hause haben will.
Diesbezügliche Erkundigungen bei hundebekloppten Vereinsfreunden brachten nicht viel. Vertagen wir halt.
Zeit ging ins Land, Louis bestand weitere Leistungsprüfungen, die ihn offiziell dazu befähigten, ein braver Hund zu sein. Viel mehr passierte nicht. Man unterhielt sich im Verein über Dies und Das, auch über einen zweiten Hund und wie das denn so ist, das Leben im Allgemeinen und der Urlaub im Besonderen.
„Mit einem Hund ist das ja alles kein Problem, aber bei zweien geht es schon los. Also, mir reicht einer. Und dann die Mehrarbeit. … Ich will keinen zweiten.“ „Wir können unserem Theo doch keinen jungen Hund mehr vor die Nase setzten, wenn er mal nicht mehr ist …“ Georg ließ den Satz offen.
„Was sollen wir dann sagen? Wir haben drei Hunde, da findest Du nichts mehr, da gibt dir keiner mehr eine Ferienwohnung. Und wenn dann noch Bruno zur Pflege kommt … aus die Maus. Da hast du keine ruhige Minute mehr. Erst recht nicht, wenn du solche hormongesteuerten Monster hast, wie wir. Also komm mir nicht mit dem Argument: wo einer ist, fällt ein zweiter nicht mehr ins Gewicht.“ Sabine beginnt in ihrer unnachahmlichen Art und Weise von einem zweiten Hund zu schwärmen und wie toll das doch wäre und ihr Hund würde schon auf den Kleinen aufpassen.
Ich warf ein, dass ich das auch eher entspannt sähe.
Michaela sah mich von der Seite her an. „Wie meinst Du das denn?“ „Na, so wie ich es gesagt habe. Ich finde, zwei Hunde zu haben, nicht zu anstrengend, das kann man alles händeln.“
Am Abend kam dann erneut die Sprache auf einen weiteren Hund.
„Willst Du wirklich noch einen?“
„Ich sage mal so: Noch traue ich es uns zu, einen Welpen groß zu bekommen und zu erziehen. Wenn nun Louis erst mal nicht mehr ist, sind wir bestimmt zu alt für solche Scherze. Dann kommt noch dazu, dass Louis jetzt in einem Alter ist, wo er ohne Probleme einen Junghund verkraften kann. Was sagst Du denn zu einem weiteren Hund?“ „Ich weiß nicht …?“
Eine Zeitlang später zeigte sich auch Michaela von dem Plan ‚Zweithund‘ angetan.
„Dann frag doch mal bei Gabi nach, wie es aussieht.“ „Mache ich.“ Erst nach wiederholten Nachfragen gab es eine Antwort: „Wir warten auch auf die Läufigkeit der Hündin, aber irgendwie scheint es nicht klappen zu wollen. Wir halten euch aber auf dem Laufenden.“ Mehr Zeit ging ins Land, viel mehr Zeit. Die Antwort auf eine weitere Nachfrage (‚Ich will ja nicht nerven, aber …‘), war sozusagen eine Abschrift der letzten: „Wir warten …“ „Dann können wir auf jeden Fall unbesorgt in den Urlaub fahren, weil 63 Tage Tragzeit plus 60 Tage Wartezeit in der die Mutter die Kleinen aufzieht, ergibt ab heute eine Abholung nach dem Urlaub.
Wenn die Hündin heute erfolgreich belegt würde. Wenn!“ Aber aus diesem Wenn wurde nichts, da sie offensichtlich leer blieb. Um uns die Wartezeit zu vertreiben, begannen wir Namen zu suchen. Ein L als Anfangsbuchstabe für den kleinen Mann stand unumstößlich fest, jedoch nicht, welche Buchstaben folgen sollten. Wir wühlten uns durch die Hundenamen, fanden aber nichts. Also suchte ich bei den Jungennamen und wurde schließlich fündig. Und das gleich zwei mal: Latif oder Labid.
Beide arabischen Ursprungs. Nach kurzer Überzeugungsarbeit gegenüber Michaela stand der Name fest. Der Kleine würde mal Labid heißen. Labid bedeutet so viel wie Freund, Begleiter, also passend für einen Hund, wie ich fand.
Der Herbst kam, dann der Winter und damit schwand die Hoffnung, dass der kleine Labid noch in 2019 das schnöde Licht der Welt erblickt, weil:
Hans und Katrin wollen im Winter keine Welpen haben.
Weihnachtswünsche und alles Gute zum Neuen Jahr gingen hin und her und kurz darauf die Mitteilung, dass die Hündin den Herren Avancen macht.
Und dann wieder ‚hat wohl wieder nicht geklappt‘.
Es sollte wohl nicht sein.
Dann eine hoffnungsvolle SMS: „Es könnte was werden. Frieda verhält sich anders als normal. Wir halten euch auf dem Laufenden.“ Verhaltene Freude machte sich bei uns breit. Dann kommen die Leine und das Halsband doch noch zum Einsatz.
Am 10. Februar 2020 kam dann die Nachricht, dass Frieda zwei Welpen geboren hat, aber leider nur eines davon durch kam. Und das sei auch noch eine Hündin und wir wollten doch einen Rüden. Es sollte Michaelas Hund werden, sie wollte ihn erziehen, führen und die Prüfungen mit ihm machen. Also wieder warten, oder …?
„Ich weiß nicht, ich will keine Hündin. Was meinst Du denn?“ „Deine Entscheidung.“ „Gabi hat geschrieben, das wir ja noch Zeit zum Überlegen haben und auf jeden Fall das Vorkaufsrecht haben.“
Michaela schwankte zwischen Ja und Nein, hin und her.
„Wir können ja in vier Wochen hinfahren und uns die Kleine mal anschauen.“ „Na ja, vielleicht.“ Schließlich stand fest: wir fahren hin.
„Unverbindlich schauen.“
„Unverbindlich.“
Dann war es soweit und wir fuhren los. Knappe 180 Km von Braunschweig bis zum Ziel. Wir hatten verabredet, dass wir gegen fünfzehn Uhr da sein wollten. An der üblichen Stelle kehrten wir ein und aßen eine Kleinigkeit zu Mittag und kauften Kuchen.
Trotz oder gerade wegen ‚Navi’ fuhren wir zu weit und mussten umdrehen.
Der letzte Kilometer stand an. Der zeichnet sich durch Schlaglöcher, tiefe Spurrillen und andere komische Sachen aus. In der letzten Zeit hatte es ausgiebig und viel geregnet, ein Umstand, der die ‚Strasse‘ nicht gerade besser machte. Und so war es dann auch. Matsch und noch mehr Matsch. Sehr tiefe Spuren, verursacht von schwerem Gerät zur Baumernte die gerade im Gange war. Mir war etwas mulmig. Würden wir stehen bleiben, wir kämen ohne Hilfe nicht mehr weg.
Schließlich standen wir auf dem Gelände der ehemaligen russischen Radarstation. Verändert hatte sich augenscheinlich nichts, nur, es waren keine Hunde unterwegs.
Hermann öffnete uns die Tür und zwei Hunde stürmten uns entgegen.
Offenbar haben Hermann und Gabi eine neue Hunderasse gezüchtet: graue Schäferhunde. Von Weiß keine Spur. Der Empfang war gewohnt herzlich von allen. Im Vorraum stand die große Gummiwanne (die kannten wir ja schon von Louis’ Kinderstube) und darin lag der kleine Welpe. Ziemlich klein und mickerig und grau.
Kaffee wurde aufgetischt, der Kuchen zerteilt und wir unterhielten uns über alles mögliche, die sich ausbreitende Corona Pandemie, Hunde im allgemeinen und Bolle im Besonderen. Michaela besah sich ‚ihren‘ Hund, war sich aber immer noch nicht 100-prozentig sicher, jedenfalls bis zu dem Moment, wo sie sie auf den Arm nahm.
Blieb also nur noch abzuklären, wann wir sie denn abholen würden. Am vierten/fünften April wäre ungünstig, da der 90ste Geburtstag vom Familienältesten anstand. Abholen, eine Woche später eine weitere lange Reise mit ihr, sie dann für Stunden alleine mit Louis im Zimmer lassen und zwei Tage danach wieder eine lange Autofahrt, nein, das wäre keine Option. Der 14te April sollte der Abholtermin werden. So weit so gut.
Wenige Tage später stand fest, wegen Corona müssen die Restaurants schließen. Und prompt kam die Absage, es würde keine Geburtstagsfeier geben. Keine Feier, kein Bayern. Wenn Bayern flach fällt, können wir doch die Kleine früher holen, oder?
Die Terminverlegung wurde abgesprochen und abgesegnet. Der neue Termin war jetzt doch der vierte April vormittags.
Wir bekommen ein Bild von der Hundefamilie und ein paar Tage später noch eines mit dem Titel: Welpe mit zwei Müttern.
Zwei Wochen noch bis zur Abholung und die Bundesregierung erließ Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote. Immer mehr Läden durften nicht mehr öffnen, der Vereinsbetrieb stand still. Einzelne Bundesländer verhängten Einreisesperren.
Und was ist jetzt mit der Kleinen? Müssen wir eventuell doch bis zum 14ten oder noch länger warten? Vielleicht auf die nächste Läufigkeit hoffen? Dann kamen die Kontrollen an den Grenzen zu den anderen Bundesländern. Touristische Fahrten waren ab sofort verboten, vieles andere stark eingeschränkt, Geschäftsreisen nur noch mit triftigem Grund möglich. Die Lage wurde unübersichtlicher und aussichtsloser. Wir einigten uns darauf, dass ich allein fahren würde, dass Katrin uns den Impfausweis und einen Kaufvertrag per Foto zukommen lassen sollte, damit ich, wenn ich an der Bundesgrenze zu MV kontrolliert würde, etwas vorzuzeigen hätte. Sollte das den Beamten nicht genügen, müsste Gabi den Welpen bei sich ins Auto packen und ihrerseits zur Grenze kommen, wo wir dann die Übergabe so kontaktarm wie möglich durchführen würden. Eine abstruse Vorstellung.
Niemand weiß nichts Genaues und so machte ich mich am vierten morgens auf zu einer ungewissen Fahrt. Unterwegs war nicht viel Verkehr und ich kam gut voran. Lauenburg an der Elbe, wenig los und dann die Grenze, leichtes Herzklopfen, niemand da, keine Kontrolle. Noch 19 Kilometer, dann der berüchtigte letzte Kilometer. Die letzten Tage waren trocken und so gab es hier kaum Matsch, nur ganz wenige Pfützen, dann die Station. Nur Katrin, die beiden Kinder und die Hunde waren da.
Ich hielt mich auch nicht lange auf, kein Smalltalk, kein Kaffee. Dann hieß es Abschied nehmen. Gabis großer Sohn drückte noch mal den Welpen und schon lag die Kleine im Wäschekorb.
Die Sonne schien schon die ganze Zeit und die Laune im Auto stieg, jedenfalls auf der Fahrerseite. Auf der Wäschekorbseite sank sie ins bodenlose. Die Kleine, eben noch ziemlich lautstark dabei, zeigte mir wie sie das alles fand: zum Kotzen. Wie gut, dass ich den Korb mit vielen Hundehandtüchern gepolstert hatte. Wie gut, dass ich hier eine Möglichkeit zum Parken hatte, so war es ein Leichtes Madamchen in den Fußraum zu bugsieren und ihr Frühstück zu entfernen. Ähnliches Spielchen einige Kilometer weiter. Langsam gingen die Handtücher aus.
Unter teils lautstarken Protesten, ging die Fahrt weiter in ihre neue Heimat. Am frühen Nachmittag konnte Michaela endlich ‚ihre‘ Kleine in den Arm nehmen. Der Beginn einer befristet schlaflosen Zeit.
Text- und Bildquelle:
Horst Knoblich