AUSGELASTET, AUSGEPOWERT, AUS DIE MAUS

Während ich hier sitze und schreibe, liegen sie in ihren Körbchen und auf ihren Decken, im Hof und im Auto, im Büro oder im Schlafzimmer. Manchmal streiten sie auch kurz, vertragen sich wieder, spielen oder betteln und das geht so den lieben langen Tag lang. Dagegen ist nichts zu sagen, zumindest bei meinen Hunden nicht, denn sie müssen ja nicht arbeiten, so wie ich. Während ihre Vorfahren sich noch mit Schafe hüten und Viehtreiben herumgeschlagen haben, machen sich meine Sofakojoten einen gemütlichen Tag und bekommen selbstverständlich, ohne eigene Anstrengungen an den Tag legen zu müssen, ihre Beute mundgerecht und pünktlich morgens und abends serviert. Ich habe nicht den Eindruck, als müssten sie beschäftigt werden, und ich bin es ja: siehe oben.

Andere Hundehalter machen sich mehr Gedanken als ich. Sie befinden sich im ständigen Zweifel, ob ihr Hund genügend beschäftigt wird oder gar ausgelastet ist. Im ökonomischen Sinne ist Auslastung keine absolute und auch keine 100%-Größe, demzufolge stellt sich die Frage: zu wie viel ausgelastet. Und welcher Auslastungsgrad ist ausreichend? Offensichtlich jedoch ist, dass Beschäftigung zu Auslastung führt und deshalb planmäßig betrieben werden sollte.

Beschäftigt werden Hunde mit Spielen, Spielzeug und Hunde­sportarten. Manche beschäftigen ihren Hund auch damit, ihm einen feinen Knochen zu geben, aber so wirklich gilt das nicht, da sich der Hund dann ja selbst beschäftigt und nicht beschäftigt wird. Insbesondere Spielen bietet weit mehr Möglichkeiten, sich als Halter einzubringen und das schlechte Gewissen zu unterdrücken.

Beim gemeinsamen Spielen sind drei Varianten häufig zu beobachten:

Spiel 1: Mensch wirft Stöckchen oder Ball, Hund rennt hinterher, bringt Stöckchen zurück – Applaus und da capo. Irgendwann sind die Stöckchen alle oder der Ball verschwunden und ein Problem entstanden: der Hund ist nicht müde. Sollte er aber sein, nachdem Frauchen / Herrchen schon erste Ansätze einer Sehnenscheidenentzündung (auch Tennisarm genannt) erahnen lassen. Hund gereizt, Mensch frustriert, Spiel beendet.

Spiel 2: Mensch wirft Stöckchen oder Ball, Hund rennt hinterher, bringt das Stöckchen jedoch nicht zurück, sondern widmet sich genüsslich dem Ausgraben von Mäusenestern. Spiel beendet, Mensch frustriert, kein Applaus. Hund beschäftigt sich selbst und Mensch fragt sich, ob hier was mit der Bindung nicht stimmt.

Spiel 3: Mensch wirft Stöckchen oder Ball, Hund interessiert sich nicht die Bohne für die Aktion und geht sofort zum Mäuse­buddeln über. Spiel beendet, Mensch frustriert, Hundepsychologe anrufen („Hilfe, mein Hund will nicht spielen, ist der krank?“).
Die Hundezubehörindustrie verspricht Abhilfe: Kong, Zottelseil, Plüschtiere, Dummies, Futterbeutel in allen Farben, Größen und Ausführungen laden zu vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten und obendrein Spaß für Hund und Halter ein.

Auch mit Spielzeugen kann man gemeinsam spielen…

zum Beispiel ein lustiges Zerrspiel. Das sieht dann gerne so aus: Mensch nimmt ein Zottelseil und fuchtelt damit vor dem Hund herum. Hund greift zu und beide raufen lustig miteinander, bis Mensch „Aus!“ sagt. Hund ignoriert das, ruckt am Seil, erobert mit dieser geschickten Aktion die Beute und haut ab. Spiel zu Ende, Hund glücklich, Mensch frustriert, Anruf beim Hundepsychologen („Ich glaube, da stimmt was mit der Rangordnung nicht …“).

Andere Variante: Mensch nimmt ein Zottelseil und fuchtelt damit vor dem Hund herum. Hund greift zu, Hand dazwischen, Spiel vorbei, Mensch zum Arzt.

Was auch passieren kann: Mensch nimmt ein Zottelseil und fuchtelt damit vor dem Hund herum. Der hebt müde ein Auge, dreht sich um und schläft weiter. In einem Arbeitgeberzeugnis würde es jetzt heißen „Er hat sich stets Mühe gegeben …“

Zumindest in den ersten beiden Fällen kann von einer „spielerischen“ Interaktion zwischen Hund und Mensch gesprochen werden, das ist mal nicht so schlecht, es könnte schlimmer kommen: Ein Mensch möchte seinem Hund eine Freude machen und kauft ein brandneues Plüschtier. Schon an der Haustür wird er freudig empfangen („Lass mich doch erst mal ankommen, du Schlingel, ich hab’ dir was mitgebracht, also gut, dann nimm es schon mal, warte, gleich spielen wir was Schönes zusammen …“). Hund verschwindet mit der neuen Beute. Auftritt Mensch: „Ja, was hat er denn da Feines? So ein schönes Spieli!“ Hund knurrt. „Ja, was soll das denn jetzt, das hab ich dir doch eben mitgebracht, gib’s mir mal.“ Hund knurrt lauter. „ So geht das aber nicht, wir wollten doch spielen, und wenn du’s nicht hergibst, wird das nichts!“ Hund fletscht die Zähne, Mensch frustriert, Anruf beim Hundepsychologen („Ich glaube, er akzeptiert nicht, dass ich der Rudelführer bin.“). Oder auch so: Ein Mensch möchte seinem Hund eine Freude machen (…) „Ja, was hat er denn da … du Miststück! Das Ding hat 12 Euro gekostet und du machst es gleich kaputt! Nie wieder bekommst du ein Spieli, nie wieder!“ Auf einen Anruf beim Hundepsychologen wird aus Kostengründen verzichtet.

Ausgesprochen spielzeugresistente Hunde bedienen sich gerne auch folgender Taktik:

Hund bekommt ein neues Spielzeug, legt es sorgfältig in die Kiste zu den anderen 32 unbenutzten gleicher Art und steht dann wedelnd an der Haustür, um seinen Menschen zu einem gemeinsamen Spaziergang mit ungestörtem Mäusebuddeln anzuregen.
Lobend zu erwähnen sind hier die sogenannten Intelligenzspiele. In ausgefeilte Schiebe-, Dreh-, Klapp- und Greif-Konstruktionen hat Mensch Leckerchen zu verstecken, die Hund dann aus den Fängen dieser technischen Wunderwerke befreien darf. Hier ist echte Kreativität gefragt und Hund ist damit meist auch 20 Minuten anspruchsvoll zu beschäftigen. Leider nur kurzzeitig, denn hat er das Prinzip erst einmal begriffen, wird auch dieses schöne Spiel schnell langweilig. Kein Problem, für 15% des Einkaufspreises kann das Wunderwerk am nächsten Tag bei ebay weiterverkauft werden. Der Part des Menschen bei diesem Spiel ist das stete Nachfüllen der Leckerchen. Das ist zwar nicht besonders anspruchsvoll, aber zur Beschäftigung des Hundes absolut unerlässlich und unterstreicht geradezu die gemeinsame Aktivität. In manchen Ehen soll das ja nicht anders sein: Sie kauft ein und füllt auf, er konsumiert in mundgerechten Portionen.

Kommen wir zum Hundesport mit seinen zahlreichen Disziplinen…

… allesamt bestens geeignet, den Hund körperlich und geistig zu beschäftigen, ja auszulasten! Am Beispiel Agility könnte das so aussehen:

  1. Recherche, wo Agility angeboten wird (Hundeschule, Hundesportverein etc. – der Hundepsychologe kann diesmal agility hundnicht weiterhelfen).
  2. Begleichen der Gebühren für die Begleithundeprüfung (ohne BH-Prüfung keine Zulassung zum Agility-Kurs).
  3. Versagen bei der BH-Prüfung; zähneknirschend Buchung eines Gehorsamskurses für 340 Euro (Sonderpreis) zur Vorbereitung auf den nächsten Versuch.
  4. Leckerchen besorgen, Hund für den Einsatz bereitmachen, Abmarsch zum Gehorsamskurs.
  5. Sechs Wochen und 24 Übungsstunden später: Hund für den Einsatz bereitmachen, Abmarsch zur zweiten BH-Prüfung. Zum Glück genügt ein „befriedigend“ …
  6. Großer Tag: Erste Agility-Stunde!
  7. Heimlich hinter der Hecke am Zaun des Hundesportplatzes stehen und bei den Agility-Übungen zuschauen. Vergleich mit Videos bei Youtube zwecks Abgleich der Anforderungen.
  8. Scheißtag: Mensch ist bei Umrundung der Wippe gestürzt und hat sich den Knöchel verstaucht, Totalausfall für mindestens drei Wochen. Hund bekommt Plüschtiere als Ersatzbeschäftigung (8 Tote, 14 Schwerverletzte,
    2 Vermisste).
  9. Nach dreieinhalb Wochen wieder Antritt zum Agility-Training. Einzelstunden zum Aufholen des Versäumten: 120 Euro; neue Schuhe (diesmal knöchelhoch): 160 Euro; Zeitverlust: unbezahlbar.
  10. Wie das mit dem Agility-Kurs weitergeht, wollt ihr gar nicht wissen …

Gut zu erkennen ist, dass bei hundsportlichen Aktivitäten besonders der Mensch gefragt ist. Hier kann er seine Rolle als Beschäftiger voll ausleben. Fazit: Auslastung Mensch: 100%, Auslastung Hund: 12%, also unterm Strich für den Hund nicht wirklich ökonomisch ;-)
Agility ist natürlich nicht alles. Für fast alle Tätigkeiten, in denen Hunde in den vergangenen Jahrhunderten als Arbeits- und Nutztiere gedient haben, finden sich heute Entsprechungen im Hundesport und es gibt (fast) nichts, was es nicht gibt. dummy-Arbeit (für unterbeschäftigte Retriever), Hütesport (für Hütehunde wie Border Collies oder Australian Shepherds), Vielseitigkeitsprüfungen für Gebrauchshunde (ehemals schlicht „Schutzdienst“ genannt) – die Liste ist lang und die Auswüchse noch länger.

Ganz schick ist Treibball,…

…wobei der Hund einem großen Gummiball hinterher hechtet und diesen in ein Tor zu stupsen hat. Das Ganze wird als ernsthafte Alternative für triebige, unterbeschäftigte Hütehunde gepriesen, wobei der Erfinder offensichtlich vergessen hat, dass im echten Leben – also mit echten Schafen – eine weitere eigenständige Komponente, nämlich die Schafe, im Spiel sind. Diese wiederum denken nicht daran, freiwillig durch irgendwelche Tore, Gatter oder Pfosten zu laufen und stellen den Hund damit auch vor eine anspruchsvolle Denksportaufgabe – was ein Ball in der Regel nicht tut. Aber deshalb ist der Ball als Beschäftigungsobjekt ja auch prima geeignet und insbesondere für den Beschäftiger ein nützliches Werkzeug (siehe auch oben unter „Spielen“).

Beschäftigung klingt für mich immer so, als würde man etwas machen, weil man nichts Besseres zu tun hat.

Oder nichts Sinnvolleres. Oder Wichtigeres. Jetzt werde ich unsicher und rufe eine Freundin an. Sie hat nur einen Hund, ist also sehr viel mehr als Beschäftiger gefragt als ich und muss es also wissen – denke ich. Ich frage sie, wie sie ihren Hund beschäftigt. Stille am Hörer. „Wie meinst du das, ‚beschäftigen’?“, fragt sie. „Na ja“, sage ich, „ich meine, der Hund muss doch was zu tun haben, alle Welt macht das. Der kann doch nicht den ganzen Tag nichts machen, oder?“ „Also, meiner macht ja nicht nichts“, sagt sie, „der schläft, döst, verliert Haare, fängt sich Zecken ein, trifft sich mit Kumpels und spielt mit ihnen, gräbt den Garten um, verbellt Spaziergänger am Tor, wälzt sich in Hühnerdreck, organisiert sich Abfall vom Komposthaufen und frisst den dann auch, und, und, und …“ „Das gilt nicht“, sage ich. „Das ist doch keine Beschäftigung für den Hund.“ „Und für wen wohl sonst, glaubst du, ich mache so was?“ „Ja, aber …“ „Was soll der Quatsch“, sagt sie daraufhin leicht gereizt, „ich hab zu tun, und wenn DU nichts zu tun hast, dann komm vorbei und hilf mir beim Bügeln.“ „Äh, sorry, ich bin beschäftigt …“

Und während ich immer noch hier sitze und schreibe und grüble, versammeln sich meine Hunde um mich herum und wedeln freundlich. Aha, denke ich, die wollen bestimmt beschäftigt werden, dann werde ich zum Einstieg mal die Spielis holen. Ich stehe vom Schreibtisch auf und wühle in der Plüschtierkiste. Stolz präsentiere ich den Elch und den Bommel zur Auswahl. Kein Interesse, stattdessen stehen alle vier vor dem Auto und sehen mich erwartungsvoll an. Gassi-Gehen? Wie banal. Wir fahren also zur Hundewiese, treffen die Kumpels und Zecken, buddeln, streiten, rennen wie immer und jeder beschäftigt sich selbst. Und dann kehren wir total ausgelastet zum Essenfassen nach Hause zurück. Alles ist gut.

Annette Gevatter
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