Der Rückruf als Antijagdmittel?

Bei meinem Rückruf-Workshop stelle ich anfangs die Frage, warum die Teilnehmer mitmachen. Schon klar, wegen dem Rückruf, aber wofür brauchen sie den ganz konkret? Die Antwort ist fast immer die gleiche: „Wenn mein Hund jagt, möchte ich ihn abrufen können!“

WOW! Das ist mal ein Ziel. Ist es aber ein sinnvolles Ziel, ist es ein machbares Ziel, ist es ein mögliches Ziel?

Jeder mit einem jagdlich motivierten Hund kennt den kurzen Schulterblick seines Vierbeiners nach dem Aussteigen aus dem Auto als wolle er sagen „Sehen uns in einer Stunde wieder“. Zack, schon ist man degradiert als Leinenträger, naja, die frisch geschnippelte Fleischwurst darf man auch tragen. Zur Not hast du etwas zum Essen, wenn dein Hund etwas länger weg ist.

Der Rückruf am Wild – am hetzenden Wild, ist eine absolute Königsdisziplin, die nicht jedes Mensch-Hund-Team erreichen kann und auch meiner Meinung nicht erreichen muss.

Allein in meinem Jagdhunderudel sind 3 Hunde, die am hetzenden Wild abrufbar sind. Ein Hund ist es nicht – meine Dackeldame lässt sich über den Rückruf nicht stoppen, hier funktioniert ein Lass-Das-Sofort-Signal.

Aber was genau passiert eigentlich beim jagdlich ambitionierten Hund?

 

Fremdgehen belohnen?

Wir gehen mal davon aus, dass ich es schaffe, ein so gutes Rückruftraining zu gestalten und meinen Hund vom hetzenden Wild abrufen kann.

Das heißt, mein Hund streunt vor mir her, sieht ein Reh und weg ist er. Ich rufe ein HIIIIIIIER oder ein Pfiff ertönt und mein Hund dreht um und steuert auf mich zu.

Was ist da gerade passiert?

Wenn man es ganz genau nimmt, hat der Hund ganz für sich allein die Entscheidung getroffen mich zu verlassen und sich wo anders zu vergnügen und meine Antwort war darauf „Schatz, komme heim, ich koche dein Lieblingsessen!“

Abgesehen davon, dass ich meinem Hund hinterherlaufe, mental, habe ich ihn auch noch belohnt, dass er mich hat stehen lassen und Entscheidungen trifft.

Sollte (wohlgemerkt, dass dieses System selten funktioniert) dies funktionieren, wird mein Hund immer jagen gehen, denn das System ist PERFEKT für ihn! Doppelter Spaß.

Sollte der Hund allerdings ernsthaftes Jagdinteresse haben, wird der Rückruf höchstwahrscheinlich gar nicht erst funktionieren.

 

Natur genießen, statt den Hund zu managen

Wäre es nicht besser, wenn der Hund erst gar nicht jagen geht? Also eine Bremse, BEVOR er losrennt? Denn erst wenn mein Hund verstanden hat, dass er nicht losrennen soll, dass er nicht Entscheidungen zu treffen hat, dass er immer mit mir Absprache zu treffen hat, kann ich meine Meinung äußern, und wahrscheinlich sogar auf eine zuckersüße positive Art und Weise.

Dann belohne ich nämlich kooperatives und nicht egoistisches Verhalten.

Mein Wunsch ist es, die Natur zu genießen und meinen Job als guter Hundechef wahrzunehmen. Das bedeutet nicht, meinen Hund immer wieder daran zu erinnern, bei mir zu bleiben, langsamer zu gehen, mich anzusehen, zu warten etc. Ich bin doch kein Kindergärtner!

Antijagdtraining

Mein Job ist es, diese Gruppe sicher von A nach B zu bringen, Gefahrenstellen rechtzeitig zu erkennen und zu managen, wie Kreuzungen, die ich nicht einsehen kann, den Hund in die Sicherheitszone zu holen bei Spaziergängern und angeleinten Hunden.

 

Der Hund darf mitdenken, statt sich ferngesteuert zu bewegen

Der Freilauf setzt sich aus mehreren Teilen zusammen:

Teil 1 ist die Basis – das Grundgerüst des Freilaufs.

Dazu zählt:

  • Der Radius meines Hundes –
  1. Wie weit darf der Hund sich von mir entfernen?
  2. Wo hört meine Einflussnahem auf? Ist der Hund ab 6 Meter wie abgeschaltet, darf er nur im 5-Meter-Radius um mich laufen.
  • Aufmerksamkeitsverhältnisse – Mein Hund ist aufmerksam von sich aus (aus eigener innerer Motivation heraus!)
  1. Wie viel Aufmerksamkeit möchte ich von meinem Jäger in meine Richtung? Sinnvoll ist es, dass mein Hund lernt, immer wieder nach mir zu sehen, zu horchen und mehr bei mir gedanklich zu sein als „im Außen“ (z.B. max. 40 %).
  2. Meine Aufmerksamkeit ist vor allem im Außen, um Gefahren zu erkennen und managen zu können (das sind Begegnungssituationen, Kreuzungen, uneinsehbare Wege und Bereiche)
  • Regeln definieren – es werden klare Absprachen getroffen
  1. Wo darf sich mein Hund aufhalten und bewegen – wo ist die Begrenzung (Weg-Feld)?
  2. Darf er nur vor/hinter/neben mir laufen?
  3. Darf er den Weg verlassen und wenn ja wann und wie lange?

Äußere deine Meinung nicht, wenn man dich nicht darum geben hat

Teil 2 ist die Orientierung.

Das bedeutet, dass mein Hund lernt, mir zu folgen. Körperlich natürlich – also drehe ich mich um, kommt er mir hinterher ohne, dass ich ihn expliziert mit dreifach schriftlicher Einladung mithole.

Aber auch mental, indem er lernt mich zu fragen, wenn er auf einer Party möchte – also sich entfernen will. Also nicht ICH sage ihm, „stopp, du musst jetzt dies und das tun“, sondern mein Hund fragt mich „Frauchen, hast du XY gesehen? Was soll ich tun?“.

Wie bekomme ich das hin?

Also mein Hund hat gelernt in meiner Nähe sich aufzuhalten, dadurch, dass ich meinen Weg immer wieder ohne Ankündigung verändere. Ich bleibe stehen, drehe mich um und gehe den Weg wieder zurück, ich kann mich auch gerne mal verstecken. Antijagdtraining

Ich lobe meinen Hund natürlich, wenn er sich immer wieder zu mir umdreht und freue mich darüber.

Und das fordere ich dann auch unter Ablenkung ein. Zum Beispiel sieht mein Hund einen attraktiven Spielkameraden (ich fange erstmal bei einfacheren Ablenkungen an, bevor wir uns Reh & Hase widmen) und möchte da hin. Schaut er nach mir oder eine Ohrdrehung wäre auch ok, rufe ich ihn mal ab, mal darf er direkt hin.

Fragt er nicht, dann drehe ich um und gehe weg – zur Not mit der Kombination eines Sicherheitsseils – der Schleppleine nämlich.

Der Hund lernt sehr schnell dadurch, dass er ohne Erlaubnis sich dennoch nicht auf die Partys schleichen kann und eine Kooperation immer vorteilhaft für ihn endet.

Erst jetzt, wenn mein Hund verstanden hat zu fragen, kann ich meine Meinung äußern. Jetzt will mein Vierbeiner die auch wissen. Ob das ein Hier, Stopp, Lass das, oder was auch immer ist, der Weg zum Zuhören ist geebnet.

Nun kann ich meine beigebrachten, konditionierten Signale einsetzen, jetzt sind sie an der richtigen Stelle.

 

Und wann rufe ich nun meinen Hund?

Es ist sinnvoller und auch für dich erfolgreicher, wenn wir unsere Hunde nicht erst rufen, wenn sie schon auf der Party sind, sondern wenn sie im Begriff sind dahinzugehen. Das hat auch was damit zu tun, dass ich lernen muss, meinen Hund in seinen Gedanken zu ertappen.

Hat aber mein Hund verstanden mit mir immer wieder von sich aus in Kontakt zu treten, habe ich über kurz oder lang mir ein Zeitfenster erarbeitet – nämlich die Zeit, in der mein Hund noch abwägt, ob er heute doch türmen will oder lieber fragen möchte. In dieser zwar noch recht kurzen, aber ausreichenden Zögersekunde, kann ich meinen Hund abrufen mit einem soliden aufgebauten Rückruf-Signal mit der Stimme oder der Pfeife.

Sollten nun noch Schwierigkeiten bestehen und dein Hund ist trotz all der guten Vorbereitung nicht abrufbar, findest du höchstwahrscheinlich euren Erfolg im Stopp-Training.

Es gibt Hunde, die besser zu stoppen sind, als sich gleich vom jagdlichen Reiz abzuwenden. Wenn man bedenkt, was für einen mentalen Aufwand der Hund leisten muss beim Rückruf, ist es für viele leichter, erstmal nur stehen zu bleiben. Nach einer kurzen Ruhezeit von 1 – 2 Sekunden sind die meisten Hunde dann auch sehr gut abrufbar. Also der Party den Rücken zuzukehren und auch noch schnell wieder heimzulaufen ist in einem Durchgang ein sehr hoher Anspruch.

Das Radiustraining kannst du prima mit einem soliden Schleppleinentraining starten. Klappt dies gut, bauen wir den nächsten Schritt auf – das Fragen an Reizen. Erst nach dieser erarbeiten Basis bieten wir ein Jagdkontrolltraining an, bei dem die Teams lernen, wann und wie signalisiere ich meinem Hund, dass er das was er tun will (!) sein zu lassen hat. Und wie man ihm einen alternativen jagdlichen Reiz bieten kann, sobald er kooperiert und mitarbeitet.

Eure
Nadja Berger
www.mainzer-hundeschule.de

Quelle Bilder
Nadja Berger und pixabay