Regelmäßig möchten wir Euch auch über den Tellerrand blicken lassen und Euch neue Hundebücher vorstellen. Heute: „Der Wenzel-Test: Mein Dackel, die Männer und ich“ von Verena Scheitz.

Verena Scheitz (u.a. Moderatorin beim ORF) beschreibt das Zusammenleben mit ihrem Rauhaardackel Wenzel, den sie als Jugendliche zu sich gezogen hat. Obgleich sie bereits Erfahrung mit Dackeln hatte, war auf einmal alles anders – Wenzel entpuppt sich als kleiner Hund mit ganz großem Ego.

Leseprobe: FRITZ, DER GÄRTNER

Na komm, trau dich, fahr drüber, na komm, trau dich, ein Zentimeter noch und es gibt einen Bahööö!

„Bitte, Frau Scheitz, Chefin, könnten Sie bitte das Hundsviech in die Wohnung sperren? So kann ich den Rasen nicht mähen!“ Fritz Flicker steht lässig mit einer Zigarette im Garten und hat neben sich den benzinbetriebenen Rasenmäher stehen – bei laufendem Motor. Davor liegt der Dackel und keift das enorm laute Gerät in Grund und Boden. Sobald Fritz Flicker auch nur versucht, seine Hand auf den Griff des Mähers zu legen, zuckt der Dackel komplett aus und beißt in die Räder des orangefarbenen Gartengerätes. Fritz Flicker ist ein ehemaliger Häfenbruder. Er hat ein Jahr unbedingt wegen Raubüberfalls gesessen. Seine „Kumpels“ und er haben einst versucht, eine Tankstelle zu überfallen und Geld und Zigaretten zu erbeuten. Erfolglos, aber immerhin hatten sie eine Faustfeuerwaffe dabei. Und sie haben es nicht nur bei einer Tankstelle versucht.
Wenn man Herrn Flicker Glauben schenken will, ist das schon so lange her, dass es in die Rubrik „Jugenddummheiten“ einzuordnen ist. Meine Mutter ist jedenfalls überzeugt, dass Herr Flicker im tiefsten Inneren ein herzensguter Mensch ist. Und sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihn zu resozialisieren. Das, so glaubt sie, schafft sie, wenn sie ihn mit Gartenarbeit eindeckt.
Unter Gartenarbeit fällt so ziemlich alles, was unmittelbar mit dem Garten zu tun hat, wie eben Rasenmähen, Rosenschneiden etc., aber auch Tätigkeiten, die das „weitere Umfeld“ des Gartens betreffen, also auch Hausarbeiten und Botendienste.

Immer wenn mein Vater, ich oder meine Schwester versuchen, Bedenken anzumelden, dass es vielleicht nicht ganz ungefährlich sein könnte, einen ehemaligen Gefängnisinsassen zu beschäftigen, winkt sie salopp ab und meint: „Da ist ihm und mir geholfen. Außerdem schaut er gar nicht aus wie ein Räuber und die Hunde sind ja auch noch da und geben Acht, dass er nichts anstellt.“ Wenn man sie fragt, wie denn Räuber für gewöhnlich aussehen, verweist sie stets auf das Kinderbuch „Der Räuber Hotzenplotz“, der aber natürlich in der Realität viel brutaler als die gezeichnete Version sei.
Irgendwie muss sie an Herrn Flicker ihre missionarische Ader verwirklichen, und der Auserwählte ist eben der Mann, der zum Mähen einer 60 Quadratmeter großen Rasenfläche drei Stunden braucht und eine weitere halbe Stunde, um den Mäher aus dem Abstellraum zu holen und ihn dort auch wieder zu verstauen.
Für eine Siphonreinigung benötigt er eineinhalb Stunden, die eine Stunde bereits abgezogen, die er braucht, um die Reinigungsspirale aus dem Baumarkt zu holen, weil er dort auch ein Bier gegen den Durst trinken muss.
Wann immer ich mit meiner Schwester rätsle, was dieser Mann hat, das meine Mutter alle Vorbehalte und Vorurteile vergessen, ja, sogar verleugnen lässt, kommen wir jedes Mal zu dem Schluss, dass es nicht an seinem Äußeren liegen kann.
Fritz Flicker ist sehr schlank – meine Großmutter hätte gesagt: „Der wiegt 40 Kilo als ein Nasser.“ Er ist also wirklich sehr schlank bei einer Größe von 1,80 Meter. Er ist an den Unterarmen und auf dem Oberkörper tätowiert, hat einen orangefarbenen Haarkranz, trägt eine Brille aus den guten, aber leider stilmäßig schwierigen Zeiten der 1980er-Jahre und raucht Kette. Wahrscheinlich trinkt er auch Bier in Kette, da sich immer eine Bierdose in seiner unmittelbaren Nähe befindet. Gut, die harte Arbeit macht durstig, das müssen wir verstehen. Meine Mutter hat es ja auch verstanden. Sie stellt ihm immer eine Flasche Mineralwasser gegen den starken Durst zur Verfügung. Zu Beginn seiner intensiven Arbeitszeit hat er auch noch aus Höflichkeit das Bier immer von der Dose in die Wasserflasche umgefüllt, aber durch die zunehmend gelungene Etablierung seiner Arbeitsleistung hat er darauf im Laufe der Zeit verzichtet.
Sonst legt Herr Flicker gemäßigten Wert auf ein lückenloses Gebiss und findet Körperpflege als solche überbewertet.
Kurz gesagt, an seinem Äußeren kann es nicht liegen, dass meine Mutter Herrn Flicker gegen jedwede Infragestellung unsererseits verteidigt. Und wir haben mit der Zeit gelernt, ihn zu akzeptieren und seinen indiskreten Bemerkungen wie zum Beispiel: „Warum sich für Sie kein Mann findet, so schiach sind Sie ja gar ned“ mit Humor zu begegnen.

Jetzt ist es ihm gerade nicht möglich, mit dem Rasenmähen fortzufahren, da sich der Dackel in den Mäher verbeißt und er zur Beruhigung eine Zigarette rauchen muss. „Hean S’, Frau Scheitz, Chefin, ich find des schon gefährlich für den kleinen Hund, wenn der unter die Messer kommt, der ist eh schon so tiefgelegt.“
„Sie haben vollkommen recht, Herr Flicker, ich werde sofort meiner Tochter Bescheid geben, damit sie sich um ihren Hund kümmert! Das geht ja nicht, das ist ja lebensgefährlich!“, ruft sie ihm vom Fenster zu, um im selben Atemzug zum Telefonhörer zu greifen. Meine Mutter zählt zu jenen zwei Prozent der Bevölkerung, die das Handy strikt ablehnen. Die Ablehnung rechtfertigt sie mit der Unvollkommenheit der Technik. Technik-Gespräche mit ihr sind sehr heikel und leider nicht rational durchführbar. So gibt es bei meinen Eltern nur Festnetz und sonst nichts. Verzeihung, ich habe etwas vergessen. Einen Fernseher auch noch. Allerdings wird nur österreichisches Fernsehen geschaut, da Satellit und Kabel ein zu hohes technisches Know-how verlangen.
„Verena, so geht das nicht! Wenn du uns den Hund dalässt, musst du ihn auch einsperren. Das ist wirklich gefährlich. Der kann ja sterben! Der Prinz ist auch drinnen und schläft. Herr Flicker will Rasen mähen und kann das nicht, weil dein Hund den Mäher blockiert. Komm sofort her und regle das. Jetzt!“

Es ist ihr in diesen angespannten Momenten völlig egal, wo ich mich mit wem und warum befinde. Sie hat ihre Prioritäten, und die Arbeitserleichterung von Herrn Flicker steht gerade an allererster Stelle. Da ich mich mit einer Bekannten in einem nicht weit entfernten Kaffeehaus befinde und der Dringlichkeitsgrad unseres Treffens nicht besonders hoch ist, verabschiede ich mich höflich und laufe. Genervt und schnell. Schnell deswegen, weil unbeaufsichtigte Dackel in der Gewalt von nicht sehr vertrauenswürdigen Personen nicht unbedingt zu meinem Wohlgefühl beitragen. Noch dazu, wo der Hund erst ein halbes Jahr bei mir ist.
„Was ist los? Wenzel, komm sofort her – hierher, das gibt es ja nicht! Hier! Wird das jetzt!“
„Na, der Tiefgelegte folgt ja top! Super Hundeschule!“
„Danke, Herr Flicker, aber ich weiß selber, dass wir noch keine Abrichte-Weltmeisterschaften gewinnen können! Komm jetzt sofort hierher!“
Es hilft nichts, auch wenn ich noch so laut schreie und versuche, meinen ganzen Unmut in den Tonfall zu legen. Der Dackel liegt schwanzwedelnd vor dem Mäher und bellt mit dem Motor um die Wette. Zornig stapfe ich auf den Hund zu und hebe ihn hoch. Wer glaubt, dass er zu bellen aufhört, irrt. Er führt sich wie ein komplett Verrückter auf und gebärdet sich wie einst auf der Straße nach dem Norweger-Streit. Allerdings nicht am Boden, sondern in der Luft. Er versucht sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus meinen Armen zu befreien. Und er keift, als gäbe es kein Morgen.
„Hean S’, darf ich ihn einmal nehmen? Der tut mir ja leid, der Kleine!“
„Ja, aber bitte passen Sie auf, dass er Sie nicht beißt. Der schnappt ganz gerne und jetzt ist er überhaupt nicht zurechnungsfähig. Hör jetzt sofort auf! Aus! Schnauze! Wird das jetzt! Aus! Wenzel! Nein, Herr Flicker, vielleicht lieber nicht, sonst beißt er Sie.“
„Aber nein, das glaube ich nicht! Geben Sie ihn mir, auf meine Verantwortung!“
Herr Flicker nimmt den Dackel. Und. Stille. Wenzel ist still. Ja, mit einem Mal ist er komplett ruhig. Der Motor des Rasenmähers heult weiter laut vor sich hin, aber Wenzel hält sein Maul. Ohne einen Ton – weder laut noch leise – sieht er seinen Träger mit großen Augen an. Dann geht Herr Flicker mit dem Dackel am Arm zum Rasenmäher und schaltet ihn aus. Jetzt ist es komplett still. Ein Segen, diese Stille.
Ich stehe wortlos Herrn Flicker mit dem Dackel gegenüber und bin baff. Sonst nichts. Er ist der Erste, der es geschafft hat, Wenzel auf den Arm zu nehmen, ohne dass der Dackel zuschnappt.

Oida, was machst du da, bist deppert, ich zerlege dir gleich dein schlechtes Meerjungfrauentattoo am Unterarm!
Wenn du das machst, kette ich dich persönlich vor den Mäher, Tiefgelegter! Dann kannst im Hundehimmel die Wolkerln anpieseln und die Engerln provozieren.
Sprichst du mit mir? Oida, are you talkin’ to me?
Yes, Sir, und ich würde mich an deiner Stelle jetzt ganz schnell zusammenreißen. Ich mache keine Tanz mit dir so wie die Blondie-Maus!
Was sagst du da? Wieso verstehst du mich? Aber … was noch viel interessanter ist, warum spreche ich überhaupt mit dir?
Weil ich super bin. Gell, da schaust, Kleiner!
Sag nicht immer „Kleiner“ zu mir, sonst mache ich dich auch um eine Wadllänge kürzer. Na geh, schleich dich! Ich war seit dem Johnny-Hundflüsterer-Desaster fest überzeugt, dass es das nicht gibt!
Träum weiter. Es gibt nichts auf dieser Welt, was es nicht gibt. Und ich verstehe jedes Wort.

„Herr Flicker, wie machen Sie das? Wieso ist der Hund jetzt ruhig? Ich bin vollkommen überrascht!“
Keinen Laut, verstanden, Kleiner!
„Ich habe eine Leberwurst eingesteckt und die riecht er wahrscheinlich. Wissen S’ eh, bei Hunden muss man immer mit Tricks arbeiten!“
Ehrlich? Rück sie raus, jetzt, sonst fange ich an zu knurren – nur zum Einstieg!
Sicher nicht. Du kannst später vielleicht eine haben, aber jetzt halt einmal die Schnauze. Wir beide können nämlich ins Geschäft kommen!
Wir beide, du meinst du und ich, der edle Rassehund und der Baubruder? Träum weiter!
Ja, du und ich. Schnauze halten und mitspielen!
„Also, Herr Flicker, ich bin wirklich, wirklich von den Socken! Wieso können Sie denn so gut mit Hunden umgehen? Haben Sie Erfahrung im Abrichten? Wissen Sie, seit dem letzten Hundeflüsterer-Erlebnis bin ich ein bisschen skeptisch, was Hundeschulen, Abrichteplätze und Co betrifft, aber diese Aktion war jetzt wirklich erstaunlich!
„Ich weiß, es ist viel Gesindel unterwegs! Dabei ist Hundeabrichten überhaupt keine Kunst. Menschen müssen Regeln befolgen und die Hunde sowieso!“
Was redest du da, Alter?
„Man muss nur zwei, drei Dinge beachten und man hat den besterzogensten Hund der Welt! Gell, mein kleiner Freund!“ Herr Flicker schüttelt liebevoll Wenzel auf seinem Arm und schenkt ihm ein großes, zahnlückenvolles Lächeln.
Bist du irgendwo angrennt, das gibt’s ja nicht. Hör sofort auf, mir wird schlecht!
„Das ist ein ganz ein guter Hund, wenn Sie mich ein paar Stunden mit ihm arbeiten lassen, haben Sie den folgsamsten Hund, den man sich nur vorstellen kann. Wissen Sie, ich habe viel über Hunde gelesen und alle meine Freunde wenden sich in Hundeangelegenheiten an mich. Ich habe viel Erfahrung sammeln können, und der Kleine hier ist überhaupt kein Problem. Aber natürlich müssen wir zu Beginn – sollten Sie sich zu einer Zusammenarbeit entschließen können – intensiv arbeiten.“
„Wie viele Stunden werden Sie benötigen? Mir ist es vor allem wichtig, dass der Hund einfache Kommandos kann:
‚Sitz‘, ‚Platz‘, ‚Hier‘ – nichts Außergewöhnliches. Und er sollte auch nicht schnappen. Ich weiß nicht, wann das begonnen hat, irgendetwas muss ich einmal übersehen haben!“
Ich mag halt den Körperkontakt mit Fremden nicht!
„Das ist alles kein Problem. Das schaffen wir locker, wir zwei! Na, was meinst du, Kumpel? Sind wir ein Team, sind wir ein super Team?“
Herr Flicker führt den Dackel am Arm ganz nah zu seinem Gesicht! Ich bin über seinen Mut erschrocken, da ich mir durchaus bewusst bin, dass Wenzel ihm ins Gesicht schnappen könnte. „Herr Flicker, bitte passen Sie auf, er ist wirklich unberechenbar!“
So, und jetzt schleckst du mir großzügig und liebevoll über die Wange, Kurzbeiniger!
Sicher! Und meine Mutter war ein Bernhardiner! Oida, ich bin ja nicht schwul! Streichel dir selber über die Wange!
Jetzt mach schon, du darfst nachher auch in die Rasenmäherreifen beißen!
Das kann ich auch ohne entwürdigende Liebesdienste.
Du bekommst ein Stück vom Leberkäse aus meiner Semmel.
Drei Stück.
Von mir aus und jetzt: Bussi!
Ich will aber den ganzen Leberkäse!
Von mir aus, aber ohne Semmel! Ich brauche noch eine Unterlage für das Bier!

Ich traue meinen Augen nicht. Wenzel zwickt nicht zu, sondern ganz im Gegenteil, er schleckt Herrn Flicker lange und genüsslich über die Wange.

Pfui Teufel, Oida, hoffentlich hat mich keiner gesehen! Wo ist die Lebekäsesemmel? Her damit! Ich brauche einen anderen Geschmack, schnell!

Jetzt gibt es kein Halten mehr. Ich bin überwältigt. „Herr Flicker, was verlangen Sie in der Stunde?“
„Na ja, da er ein sehr gelehriger, kleiner Kerl ist, würde ich sagen, 80 Euro. In der Stunde? Wir müssen natürlich gerade am Anfang zwei, drei Mal in der Woche üben, weil das muss ja alles in Fleisch und Blut übergehen, aber ich kann mir schon vorstellen, so nach drei, vier Monaten haben Sie einen tadellosen Hund!“
In diesem Moment bereue ich gerade jedes Vorurteil, das ich je gegen diesen Mann hatte, und schäme mich. Wie konnte ich einen Mann verurteilen, der vielleicht einmal in frühester Jugend eine unüberlegte Dummheit gemacht hat, aber solche Fähigkeiten besitzt? Ich muss zugeben, dass meine Mutter wirklich die beste Menschenkenntnis in unserer Familie hat, und es reine Anmaßung von meiner Schwester und mir war, so über diesen Menschen geurteilt zu haben. „Herr Flicker, wir sind im Geschäft! Bitte, machen Sie heute mit ihm gleich die erste Stunde! Ich würde sagen, wir rechnen monatlich ab und was immer Sie für Unterrichtsutensilien brauchen, bekommen Sie selbstverständlich.“
Ich gehe zu ihm, reiche ihm die Hand und streichle Wenzel liebevoll über seinen Kopf: „Du bist ein ganz ein feiner Hund! Herr Flicker, Wenzel, ihr seid eine super Kombination, ich wünsche euch eine schöne Zeit!“ Ich drücke dem Dackel noch einen dicken Kuss auf den Kopf und gehe in die Küche, um meiner Mutter vom neuen Aufgabengebiet des Fritz Flicker ausführlich zu berichten.
Schau, da geht meine Mausimaus glücklich dahin! So, jetzt aber Tacheles, Schmalzbruder. Was springt für mich dabei heraus? Beim Leberkäse kann es sich ja nur um eine geringfügige Anzahlung handeln. Lass mich einmal hinunter, ich bin ja kein Schoßhündchen. Peinlicher.

Mach keine Manderln, wir setzen uns auf die Bank, ich brauche dringend einen Schluck Bier. Und du kriegst deinen Leberkäse, Kumpel! Stell dir vor, was ich mir um das zusätzliche Geld alles kaufen kann!
Ist mir jetzt wurscht, rück den Lebekäse heraus! Hmm, geil, der ist gar nicht schlecht, vielleicht ein bisschen zu viel gesalzen, aber nicht schlecht. Wo hast du den her?
Vom Fleischhauer vorne.
Echt? Super! Also, hör zu, wenn wir unsere sogenannte „Team“-Stunde haben, nimmst jedesmal von diesem Fleischer einen Leberkäse mit! Außerdem kaufst du getrocknete Rinderkopfhaut, Schweinsohren und Lammleckereien. Wir machen maximal zwanzig Minuten ernst, die andere Zeit kannst du mir den Nacken massieren und den Bauch kraulen. Und für jedes Kommando, das ich quasi als „Kunststück“ anderen vorführen muss, bekomme ich ein Stück Rinderlunge extra. Deal?
Sicher nicht, dann ist ja gleich das ganze Geld wieder weg! Nix da. Es gibt einmal die Woche einen Leberkäse, Schweinsohren, 30 Minuten Training, weil sie werden uns immer wieder beobachten, und sicher keine Extramassage. Über die Rinderlunge können wir reden. Von mir aus. Und was ganz wichtig ist: Du musst, wenn ich nicht da bin und die Blondie und Eltern versuchen, bei dir die Kommandos abzurufen, sie auch befolgen. Am Anfang nicht immer, aber mit der Zeit mehr und mehr. Wir müssen glaubwürdig bleiben. Klar?
DU musst glaubwürdig bleiben. Ich habe da eine „gmahte Wiesn“, wie man so schön sagt. Apropos, willst du nicht den Motor anwerfen, meine Blondie und ihre Mutter beobachten uns die ganze Zeit vom Küchenfenster aus.

„Ich habe dir immer gesagt, Verena, der Flicker ist ein guter Kerl, aber du und deine allwissende Schwester ihr müsst ja immer misstrauisch sein. Schau dir das an! Das ist ein Bild für Götter, so etwas Herziges!“ Meine Mutter und ich beobachten die idyllische Gartenszene: Wenzel neben Herrn Flicker auf der Gartenbank im Schatten sitzend, während der dünne, orangehaarige Mann dem Dackel seinen Leberkäse verfüttert. „Der gibt ihm sogar seinen Leberkäse!“ Ich bin gerührt und erleichtert und schließe Herrn Flicker minütlich mehr in mein Herz. Wenzelfreunde sind meine Freunde.
Endlich habe ich für den immer eigenwilliger werdenden Dackel eine starke Hand gefunden, die ihn abzurichten versteht. Der ehemalige Häfenbruder mutierte innerhalb einer Sekunde zum geliebten Dackelretter und Abrichteprofi. „Man muss die Chancen ergreifen, wenn sie sich bieten!“, sage ich zu meiner Mutter und schließe das Küchenfenster. So, jetzt sind sie wieder weg. Gib mir einen Schluck Bier, der Leberkäse ist so salzig, da bekommt man wirklich Durst.
Prost, Kleiner, auf viele gute Jahre!
Prost, du Gfrast, den Test hast zwar bestanden, aber nur weil ich heute einen guten Tag habe.
Herr Flicker und Wenzel sollten viele Jahre gemeinsam verbringen und oft habe ich mich gewundert, warum der Dackel auf diesen dünnen, zahnarmen, stark tätowierten Mann so fixiert war. Warum Wenzel ihn nie gebissen oder gezwickt hat, wird immer ein Rätsel bleiben. Sobald Herr Flicker das Haus betrat, war Wenzel der Erste, der ihn begrüßte, und wenn er ging, derjenige, der ihn zur Türe begleitete. Herr Flicker starb an einer Leberzirrhose. Wenzel lag dann oft allein auf der Gartenbank im Schatten und es hatte den Anschein, als würde er ihn jeden Moment erwarten.

Fazit

Endlich mal wieder ein Hunde-Buch, das für gute Laune sorgt. Die kleinen und großen Dramen wie auch Geschichten des Alltags sind schön verpackt. Und wer ertappt sich nicht dabei, dass man seine (potenziellen) Lebensabschnittspartner ganz genau auf die Wenzel-Tauglichkeit untersucht?
Zwar schaffen es nicht alle Geschichten von Wenzel, das Tempo und den Wortwitz hochzuhalten, aber in Summe hat es uns gut gefallen. Daher:

Lesenswert!

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Beitragsbild & Quelle: ueberreuter Verlag – Covergestaltung: Saskia Beck, s-stern.com, Coverfoto: © Manfred Baumann